Rezension von Christof Dejung auf Hsozkult.geschichte.hu-berlin.de
"Die aktuelle Finanzkrise hat nicht bloß die Bedeutung von wirtschaftshistorischen Fragestellungen erneut ins Blickfeld gerückt, sondern auch ein akutes Manko der deutschsprachigen Wirtschafts- und Unternehmensgeschichte offengelegt. Während die Geschichte der industriellen Produktionsweise seit jeher deren Aufmerksamkeit gefunden hat, sind die mit ihr zusammenhängenden weltumspannenden Finanz- und Dienstleistungssysteme weit weniger gut erforscht. Insbesondere blieben bislang Forschungen Mangelware, welche das wirtschaftshistorische Erkenntnisinteresse in Richtung einer Analyse des Kapitalismus erweitern.
[...]
Eine Stärke des Bandes besteht darin, dass er explizit nicht-westliche Ausprägungen des Kapitalismus ins Auge fasst und diesen als Wirtschaftssystem mit globalhistorischer Reichweite versteht. Damit überwindet er den Fokus auf den nordatlantischen Raum, der in vielen wirtschaftsgeschichtlichen Arbeiten vorherrscht, ohne dass die Implikationen einer solchen Selbstbeschränkung reflektiert würden. In einem höchst anregenden, wenn auch etwas sprunghaft argumentierenden Beitrag zeigt Charles Maier, dass eine Geschichte des Kapitalismus anders geschrieben werden muss, wenn sie sich nicht bloß auf die westliche Welt konzentriert. So demonstriert Maier, wie der Kapitalismus im Zuge seiner Durchsetzung eine neue Landkarte entwerfen und Gräben zwischen unterschiedlichen Teilen der Welt vertiefen konnte, etwa durch eine räumliche Differenzierung zwischen industrialisiertem Zentrum und rohstoffproduzierender Peripherie. Weiter ist es laut Maier nötig, das Verhältnis zwischen staatlicher Territorialität und der Ausgestaltung von Märkten in den Blick zu nehmen, um die räumlichen Dimensionen des Kapitalismus auszuloten.
[...]
Als Fazit der Lektüre dieses gelungenen und hochaktuellen Bandes kann festgehalten werden, dass die Beschäftigung mit der Geschichte des Kapitalismus mitten ins Zentrum aktueller historiographischer Debatten führt, wie etwa derjenigen um die kulturelle Einbettung der Wirtschaft oder um die globalgeschichtliche Erweiterung des Erkenntnisinteresses. In seinem Schlusswort hält Jürgen Kocka fest, dass man nur hoffen könne, ein kapitalismustheoretischer Ansatz ermutige "die Wirtschaftshistoriker [...], die gesellschaftlichen, kulturellen und rechtlichen Dimensionen ihrer Themen nicht zu ignorieren, während er Sozial-, Kultur- und andere Historiker einlädt, die Wirtschaft ernster zu nehmen, als sie es seit der 'kulturellen Wende' der 1980er Jahre getan haben" (S. 181f.). Dem ist nichts hinzuzufügen."
Die vollst. Rezension finden Sie .
/ AUS DEM INHALT: / / / Inhalt
Einleitung 7
Wolf Lepenies
Finanzkrisen in der Menschlichen Komödie 17
Hans-Ulrich Wehler
Die Deutschen und der Kapitalismus 34
Ute Frevert
Gefühle und Kapitalismus 50
Hartmut Berghoff
Rationalität und Irrationalität auf Finanzmärkten 73
Gunilla Budde
Das wechselvolle Kapital der Familie 97
Gudrun Krämer
Islam, Kapitalismus und die protestantische Ethik 116
Charles S. Maier
Capitalism and territory 147
Marcel van der Linden
Ein globalgeschichtlicher Blickwinkel auf
Kapitalismus und Arbeiterklasse 164
Jürgen Kocka
Kommentar
Suche nach Verfasser*in
Verfasser*innenangabe:
hrsg. von Gunilla Budde
Jahr:
2011
Verlag:
Göttingen, Vandenhoeck & Ruprecht
Aufsätze:
Zu diesem Aufsatz wechseln
opens in new tab
Systematik:
Suche nach dieser Systematik
GW.T
Suche nach diesem Interessenskreis
ISBN:
978-3-525-30131-9
2. ISBN:
3-525-30131-6
Beschreibung:
191 S. : Ill., graph. Darst.
Schlagwörter:
Berlin <2009>, Geschichte, Kapitalismus, Kongress, Kapitalistische Gesellschaft , Kapitalistische Wirtschaft , Kapitalistisches Gesellschaftssystem , Kapitalistisches Wirtschaftssystem, Kolloquium, Kongresse, Künstlersymposion, Landesgeschichte, Ortsgeschichte, Regionalgeschichte, Sommerschule <Kongress>, Symposion <Kongress>, Symposium <Kongress>, Tagung <Kongress>, Vortragssammlung, Zeitgeschichte
Mehr...
Sprache:
mul
Fußnote:
Beitr. überw. dt., teilw. engl.
Mediengruppe:
Buch