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Schriften zur Pädagogik

Verfasser*in: Suche nach Verfasser*in Luhmann, Niklas
Verfasser*innenangabe: Niklas Luhmann. Hrsg. u. mit e. Vorwort von Dieter Lenzen
Jahr: 2004
Verlag: Frankfurt am Main, Suhrkamp
Mediengruppe: Buch
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Inhalt

Im Jahr 2002 erschien mit Das Erziehungssystem der Gesellschaft der letzte Band von Niklas Luhmanns epochaler Theorie der Gesellschaft. Dem Erziehungssystem der Gesellschaft widmete Luhmann allerdings bereits seit den siebziger Jahren große Aufmerksamkeit und publizierte eine Vielzahl von Texten, die von einem Lexikonartikel über System und Systemtheorie in einem pädagogischen Wörterbuch über das "Kind als Medium der Erziehung" bis hin zur Reformpädagogik reichen. Dieser Band versammelt erstmals diese verstreut publizierten Texte und bietet somit einen exzellenten Überblick über Luhmanns Theorie des Erziehungssystems. Inhalt Dieter Lenzen: Vorwort 7 Erziehender Unterricht als Interaktionssystem (1985) 11 Codierung und Programmierung: Bildung und Selektion im Erziehungssystem (1986) 23 Systeme verstehen Systeme (1986) 48 Strukturelle Defizite: Bemerkungen zur systemtheoretischen Analyse des Erziehungssystems (1987) 91 Sozialisation und Erziehung (1987) 111 Die Homogenisierung des Anfangs: Zur Ausdifferenzierung < der Schulerziehung (1990) 123 Das Kind als Medium der Erziehung (1991) 159 System und Absicht der Erziehung (1992) 187 Das Erziehungssystem und die Systeme seiner Umwelt (1996) 209 Takt und Zensur im Erziehungssystem (1996) 245 Erziehung als Formung des Lebenslaufes (1997) 260 Nachweise 278 / AUS DEM INHALT: / / / Dieser Band versammelt jene Beiträge Luhmanns zum Erziehungssystem, die während und nach seiner konstruktivistischen Wende entstanden sind. Damit rücken zwei wesentliche Gedanken in den Vordergrund, die auch systemisch orientierte Therapeutinnen und Therapeuten beschäftigen: Die Selbstreferentialität verstehender Systeme mit der Konsequenz, dass Verstehen (im Unterricht) eher unwahrscheinlich ist, und die Entstehung und Bewältigung von Paradoxien. Letzterer Punkt bezieht sich insbesondere auf zwei Sachverhalte: auf den Widerspruch von Erziehung (Einflussnahme) zur Selbstbestimmung (Freiheit) und auf den von Bildung und Selektion. Beide Themen haben insbesondere die geisteswissenschaftlich orientierten Pädagogen nachhaltig irritiert, und damit dürfte bereits ein hauptsächliches Anliegen der Luhmannschen Bemühungen um eine Theorie des Erziehungssystems erfolgreich realisiert worden sein. Diese Themen durchziehen in immer neuen Variationen die einzelnen Beiträge in diesem Buch, wie man das von Luhmannschen Schriften kennt. Ironisierend könnte man Luhmanns Wirken in etwa so beschreiben: Man nehme ein Thema aus der Alltagswelt, stecke es oben in die systemtheoretische Maschine hinein, und unten kommt ein verblüffender Befund, eine originelle neue Perspektive auf dieses Thema heraus. Leider jedoch verliert bei diesem Prozess das Thema seinen alltagsweltlichen Bezug, an dem der Autor auch nicht weiter interessiert ist, und wer nach den Konsequenzen dieser theoriereproduzierenden Pirouetten für die Lebenspraxis (hier: von Pädagogen und Schülern) fragt, bleibt ratlos im Regen stehen. Allerdings, und dieser Erfolg ist auch nicht zu unterschätzen, bewegt sich die Ratlosigkeit immerhin auf einem neuen, möglicherweise kreativitätserzeugenden theoretischen Niveau.An zwei Beispielen soll dies deutlich gemacht werden: zunächst anhand eines Beitrags in diesem Buch aus dem Jahr 1987, in dem Sozialisation und Erziehung einander gegenübergestellt werden (S. 111 – 122), dann anhand des Beitrags zur Paradoxie von Bildung und Bewertung aus dem Jahr 1996 (S. 245 – 259). In „Sozialisation und Erziehung“ beschreibt Luhmann Sozialisation als ein „reziprokes Geschehen, das nicht nur auf die Sozialisanden, sondern auch auf die Sozialisationsagenten zurückwirkt“ (111). Luhmann legt nun eine Theorie selbstreferentieller Systeme zugrunde, die davon ausgeht, dass Systeme (im vorliegenden Fall: Sozialisanden und Sozialisationsagenten) gegeneinander abgeschlossen sind, und er stellt sich die Frage, wie diese Systeme miteinander in Kontakt treten können: bekanntlich auf dem Wege der Kommunikation. Diese geschieht in Ereignissen, in denen die Systeme zwar miteinander in Kontakt, aber als getrennte bestehen bleiben. Die Kommunikation reproduziere ständig, so Luhmann, die Alternativen Konformität und Abweichung. Sie werde dadurch aufgelöst, dass Muster positiver Abweichung präferiert würden. Anders sei es, wenn Erziehung (also gesellschaftlich institutionalisierte Sozialisation) auftrete. Erziehung sei eine auf Veränderung von Personen gerichtete Veranstaltung sozialer Systeme, die an Resultaten orientiert sei (117). Im Unterschied dazu geschehe Sozialisation sozusagen immer nur kontextuell und ereignishaft. Da zudem Erziehung auf vorab definierte Resultate aus sei, müsse sie Personen wie Trivialmaschinen behandeln, die nach der Logik linearer Kausalität funktionieren: Erziehungsrelevante Kommunikation ist der Input, die gewünschten Resultate (kluge Schüler) sind der Output. Weil aber psychische Systeme (also Personen) keine Trivialmaschinen seien, stelle sich die Frage, wie man dort als Schüler überlebe. Luhmanns Antwort lautet: Indem ein „hidden curriculum“ entsteht, in welchem der Schüler lernt, wie man solche Zumutungen unterläuft. Dieser letzte Punkt ist aus der erziehungswissenschaftlichen Forschung altbekannt. Mit Hilfe der Luhmannschen konstruktivistischen Systemtheorie weiß man nun als Leser jedoch, wie das Problem des über alle Schüler hinweg laufenden Lehrplans und der Bewältigungsstrategie des hidden curriculums systemtheoretisch reformuliert werden kann. Für Luhmann ist dieses Problem eine Konsequenz komplexer Gesellschaften und daher nicht aus der Welt zu schaffen. Die Pädagogen könnten allenfalls dafür Sorge tragen, das Schlimmste zu verhüten. Eine andere Schlussfolgerung wäre gewesen, die auch von Luhmann erkannte Wurzel des Übels, das offizielle Curriculum, direkt anzugehen und über dessen Abschaffung nachzudenken, um zu Alternativen zu kommen, die der individuellen Entwicklungsgeschwindigkeit von Schülern gerecht werden. Ein Beispiel dafür wäre die Montessori-Pädagogik. Von hier aus wäre auch darüber nachzudenken, was Therapie und Pädagogik hinsichtlich ihrer Handlungslogik verbindet: Ersetzt man „Leidensdruck“ durch „Wissensdurst“, hat man einen gemeinsamen Anknüpfungspunkt. Mit solchen Feinheiten pädagogischen Handelns befasst sich aber nicht die Systemtheorie, sondern die Objektive Hermeneutik (Werner Helsper, Ulrich Oevermann, Andreas Wernet), die den Vorzug hat, ihre „Anstrengung des Begriffs“ (Hegel) nicht aus dem Lehnstuhl heraus, sondern in Auseinandersetzung mit empirischen Daten (Interaktionsprotokollen von schulischen Veranstaltungen wie z. B. Unterricht) voranzubringen. In „Takt und Zensur im Erziehungssystem“ befasst sich Luhmann wiederum mit dem Paradox von Einflussnahme auf den Schüler und dessen individueller Autonomie. Dieses wird festgemacht am Widerspruch zwischen Wissen und Leistung. Die durch diesen Widerspruch geschaffene double-bind-Situation führe sowohl auf der Seite der Schule wie auch auf der des Schülers zu einer Ambivalenz, die den Schüler dazu verführt, in einem Spiel der Selbstdarstellung negative Leistungen zu verdecken. Den Ausweg aus dieser Paradoxie sieht Luhmann in „taktvoller Kommunikation“: einer Kommunikation, die „nicht ganz so gemeint ist, wie sie sich darstellt“ (248). Diese für das 18. Jahrhundert typische Kommunikationsform des geselligen Umgangs in bürgerlichen Kreisen stellt für Luhmann einen gültigen Ausweg aus der beschriebenen Paradoxie dar, vor allem dann, wenn sie routinisiert ist. Er grenzt diese Bewältigungsstrategie von paradoxen Kommunikationen in der Familie ab, von denen er weiß (aus Büchern), dass sie sich negativ auswirken. Er gibt dafür auch einen Grund an: Kinder in Familien sind dort ganze Personen (zu ergänzen wäre: sie haben keinen Ausweg, sie können ihrer Familie erst einmal nicht kündigen, während Schüler, als Rollenträger, auch ein Leben außerhalb der Schule haben). Zensuren, so Luhmann, haben nun den Vorteil eindeutiger Kommunikation im Sinne binärer Kodes: es gibt nur ein Bestanden oder ein Nicht bestanden, dazwischen gibt es nichts, und über dieses System diskutieren lässt sich auch nicht, allenfalls darüber, ob die Beurteilung gerecht ist oder nicht. Dieses so explizit Kommunizierte werde im Systemgedächtnis aufbewahrt, aber auf eine Art und Weise, die Zukunftsoffenheit ermögliche, so dass vergangene eindeutige Zurechnungen immer wieder korrigiert werden können. Zensuren böten demnach ein Gegengewicht gegen die für Erziehung typischen paradoxen Kommunikationen. Oder: „Der Selektionscode ist letztlich eine aufgelöste Paradoxie“ (259). Während Luhmann offenbar die Rettung schulischer Kommunikation mit ihren unverzichtbaren Paradoxien in binär kodierten Kommunikationen sucht, könnte auch danach gefragt werden, ob Paradoxien tatsächlich nur so konzeptualisiert werden können, dass ihnen ein potentiell destruktiver Charakter zugeschrieben wird. In Anlehnung an Vaihingers „Philosophie Als Ob“ könnte auch angenommen werden, dass Paradoxien unerlässlich seien, um in einer Welt voller Uneindeutigkeiten rational handlungsfähig zu bleiben. Das sieht auch die neuere Systemtheorie so, man denke nur an das 18. Kamel Heinz von Försters. Diese schöne Geschichte hat allerdings den Nachteil, dass mit ihr ein formallogisches Problem in die Lebenswelt transportiert wird und dort in dem Augenblick seine ansonsten fraglos angenommene Plausibilität verliert, wenn man fragt, wo in aller (Alltags-)Welt man einen Vater findet, der seine 17 Kamele auf seine drei Söhne so aufteilt, dass sie einen vorbeikommenden Mullah (Heinz v. Förster persönlich?) brauchen, um aus der Bredouille zu kommen. Diesen Weg - also den Weg, Paradoxien als unerlässlich für die Bewältigung alltagsweltlicher Rationalität aufzufassen, was wiederum eine Paradoxie ist - beschreitet zunächst auch Luhmann; bevor er ihn aber weiter geht, sucht er die Rettung im binären Kode der Zensuren. So löckt er wider den Stachel aller guten Menschen, die die Welt von Üblem zu erlösen trachten, indem sie beispielsweise die Schüler von Zensuren entlasten wollen, aber mehr gewonnen ist damit auch nicht. Die Pädagogik, von der Luhmann handelt, ist die Schulpädagogik. Sie kennt er als Vater von Schülern, und vermutlich war er selbst auch einmal Schüler. Von eigener empirischer Forschung her kennt er sie nicht – jedenfalls lassen die Beiträge in diesem Buch solches nicht vermuten. Diese Pädagogik konfrontiert er nun mit seiner neuesten Variante von Systemtheorie, und was herauskommt, sind interessante Einschätzungen, die zum Weiterdenken anregen. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. systemagazin.de - Bruno Hildenbrand

Details

Verfasser*in: Suche nach Verfasser*in Luhmann, Niklas
Verfasser*innenangabe: Niklas Luhmann. Hrsg. u. mit e. Vorwort von Dieter Lenzen
Jahr: 2004
Verlag: Frankfurt am Main, Suhrkamp
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Systematik: Suche nach dieser Systematik PN.AT
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ISBN: 3-518-29297-8
2. ISBN: 978-3-518-29297-6
Beschreibung: 1. Aufl., 278 S.
Schlagwörter: Aufsatzsammlung, Pädagogik, Systemtheorie, Beiträge, Erziehungswissenschaft, Erziehungswissenschaften, Pädagogischer Prozess, Sammelwerk
Beteiligte Personen: Suche nach dieser Beteiligten Person Lenzen, Dieter
Sprache: Deutsch
Fußnote: Literaturverz. S. 278
Mediengruppe: Buch