Albert Salomon (* 8. Dezember 1891 in Berlin; † 18. Dezember 1966 in New York, NY) war ein US-amerikanischer Sozialwissenschaftler deutscher Herkunft, der 1935 nach New York emigriert war und dort bis zu seinem Tod an der New School for Social Research forschte und lehrte. Mit seinen Arbeiten während der Weimarer Epoche stellt Salomon sich in die Tradition der verstehenden Soziologie Max Webers, den er 1926 in seinem Aufsatz für "Die Gesellschaft" zu einem „bürgerlichen Marx“ erklärt. Damit deutet sich zugleich die zweite Traditionslinie an, durch die Salomons Frühwerk geprägt ist: Salomon positioniert sich auf der Seite einer sozialistischen und gegenüber einer bürgerlichen Soziologie, da er im Sinne von Karl Marx die bürgerliche Epoche ihrem Ende entgegengehen sieht. Allerdings legt er Wert auf die Feststellung, dass "der Geist von Marx nicht mit den Marxisten" ist; in seinem Sozialismus-Verständnis folgt er seinem Förderer Emil Lederer. Nach der Emigration, an der New School, ist es zunächst Salomons Anliegen, das geisteswissenschaftliche Erbe Europas und insbesondere die kontinentaleuropäische Soziologie in seiner neuen Heimat zu verankern. Neben Arbeiten über Autoren, die während seiner Berliner und Heidelberger Zeit zu seinem Umfeld gehört hatten, wie Georg Simmel, Karl Mannheim, Max Weber und Alfred Weber oder Ferdinand Tönnies, verlagert sich sein Forschungsschwerpunkt in der Folge immer mehr auf Denker der Vor- und Frühgeschichte der Soziologie, wobei er eine eigenwillige, gleichwohl systematisch begründete Auswahl trifft. Deutlich erkennbar präferiert er Goethe, Alexis de Tocqueville und Jacob Burckhardt, während er soziologische ‚Klassiker‘ wie Claude-Henri de Saint-Simon oder Auguste Comte ebenso wie Hegel und nun auch Marx kritisiert, weil sie die Soziologie mit Elementen einer säkularen Religion aufgeladen hätten.[7] In seinen Lehrveranstaltungen beschäftigt Salomon sich auch mit der antiken Stoa, mit Thomas von Aquin, Francisco Suarez, de Maistre, Bonald und Donoso Cortés, oder auch mit Wilhelm von Humboldt, Kierkegaard und Nietzsche. In seinen Publikationen findet dieser ideengeschichtliche Zugang zu den Sozialwissenschaften seinen Niederschlag in soziologischen Porträts, die z.B. Erasmus von Rotterdam, Hugo Grotius, Fontenelle, Goethe, Montesquieu oder Adam Smith gelten. Die methodologische Relevanz dieser Porträts liegt in der Beschreibung der Wechselwirkung von biographischen, sozioökonomischen und epistemologischen Entwicklungen. Die Porträts bilden soziologische Manifestationen des gestalttheoretischen Ansatzes, dem Salomon im Kollegium der New School in der Person von Max Wertheimer begegnet. Salomon versteht sich als Protagonist einer humanistischen Denk- und Lebensform, als deren wichtigsten Repräsentanten er Jacob Burckhardt betrachtet; entsprechend kann als sein bedeutendster Beitrag zu den Sozialwissenschaften die Grundlegung einer humanistischen Soziologie gelten. Gemäß dieser Traditionslinie setzt Salomon sich zunehmend kritisch mit Ideen der Moderne auseinander, die das Humanum zur randständigen Größe herabmindern und den Gedanken des Fortschritts zum unreflektierten Axiom erheben; Salomon erkennt darin – in einer Parallelaktion zu Karl Löwith, Leo Strauss und Eric Voegelin, mit denen er auch Kontakt pflegt – eine Ersatzreligion, die in den Totalitarismen des 20. Jahrhunderts gemündet ist. Salomons Soziologie versteht sich ebenso als Aspekt der Aufklärung - die für ihn keine zeitgeschichtliche Epoche, sondern ein transhistorisch gültiges Postulat ist - wie sie selbst der Aufklärung bedarf. Salomons Kritik gilt einer Soziologie, deren erster Grund nicht der in seiner Wirklichkeit und Wirksamkeit zu verstehende Mensch "als Handelnder und Behandelter, Strebender und Leidender" ist, "der ewige Mensch, der in wechselnder Verkleidung stets derselbe bleibt", sondern die sich im Glauben an die eigene wissenschaftliche Methode und in der Verklärung derselben erschöpft. Die soziologische Traditionslinie, der Salomons Kritik gilt, ist die in der Soziologie des 21. Jahrhunderts vorherrschende – z.B. in Gestalt der Systemtheorie Niklas Luhmanns oder der Theorie der rationalen Entscheidung, insbesondere aber in Gestalt der epistemologisch anspruchs- und empirisch belanglosen Praxis der quantifizierenden Sozialforschung. Andererseits sind verschiedene gegenwärtige Ansätze, z.B. die Hermeneutische Wissenssoziologie oder auch Spielarten der Akteur-Netzwerk-Theorie mit Salomons Denkweise kompatibel; sie erfahren durch seine Arbeiten eine gehaltvolle geisteswissenschaftliche Begründung und können zugleich als produktive Fortschreibung seines Ansatzes verstanden werden, so dass Salomons Werk von unveränderter Aktualität ist. Seinen Plan einer umfassenden Monographie zur Geschichte der Sozialwissenschaften konnte Salomon zu Lebzeiten nicht mehr umsetzen. Letzteres dürfte ein Grund dafür sein, dass er, verglichen mit anderen seiner Kollegen an der New School, etwa mit Alfred Schütz, trotz der Anschlussfähigkeit seines Denkens eine zumeist nur beiläufig erwähnte Randexistenz im Fach führt, zumal sein Werk bis vor Kurzem nur schwer zugänglich war. Derzeit ist am Fachbereich Gesellschaftswissenschaften an der Universität Frankfurt am Main eine fünf Bände umfassende Werkausgabe in Arbeit, deren letzter Band für 2015 angekündigt ist. Auch erste Ergebnisse einer Rezeption des Werkes Salomons liegen inzwischen vor, u.a. eine Monographie, die Salomons Position im "intellektuellen Feld" seiner Zeit und seinen "Denkraum" systematisch nachvollzieht.
Verfasser*innenangabe:
Albert Salomon ; hrsg. von Peter Gostmann und Gerhard Wagner unt. Mitarb. von Claudius Härpfer und Karin Ikas
Verlag:
Wiesbaden, VS Verlag für Sozialwissenschaften
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