Band 1 entstand im Zusammenhang des Forschungsprojektes ?Empowering the People?, das zwischen 2004 und 2006 vom Thüringer Kultusministerium gefördert wurde. Die zentrale Fragestellung des Projektes an der Fachhochschule Erfurt ruhte auf der These einer eigenständigen Sozialarbeit des Südens. Um die Bedeutsamkeit der neuen Konzepte, auch für den Norden, zu erstehen, muss eine Rekonstruktion der Entwicklung der Sozialarbeit erfolgen. Wenn wir uns auf die anderen Kulturen beziehen, was in den beiden Bänden, die hier unter dem Titel ?Sozialarbeit des Südens? vorgelegt werden, geschehen soll, dann befinden wir uns auf Augenhöhe mit den Anderen ? und sehen neben der Armut in diesen Ländern auch deren Reichtum. Wir lernen zunächst kein neues Muster, wir lernen vor allem unser eigenes besser zu verstehen. Vom Süden lernen heißt deshalb zunächst sich selbst relativieren zu können und die enge und verdeckte Verstrickung in die eigene Kultur zu sehen. Das macht uns ein wenig ärmer, da wir uns auf jenem Boden wieder finden, auf dem alle Kulturen stehen: der Begrenztheit des eigenen Horizonts und der eigenen Handlungen, die nur durch Dialog erkannt und zugleich auch überwunden werden kann. Und es macht uns reicher: Es öffnet uns den Zugang zu den Anderen und damit in einer innovativen Wendung auch den Zugang zu unseren kulturellen Grundlagen, die es zu entdecken gilt. Daraus lassen sich neue Fragen formulieren, die dem Charakter dieses Projektes immanent sind, denn die Beschäftigung mit dem Süden fängt gerade an und ist dabei unseren Horizont zu öffnen: Wie zeigt sich der kulturelle Hintergrund in den Hilfesystemen, in Theorien und Methodik? Wie also ist Hilfe im Norden und im Süden zu verstehen, wenn wir diese jeweils von außen, von anderen Antworten anderer Kulturen betrachten? Auf welchen Traditionen und Mustern ruhen sie eigentlich (Religion etc.)? Welche Antworten hatten traditionelle Kulturen (auch unsere) auf Fragen, die uns heute bewegen? Das könnten u.a. Themen wie Konflikte, Gewalt, Sucht, Flucht, Armut, Kindheiten oder auch Vernachlässigung sein. Welche kulturellen Antworten finden sich in der Sozialarbeit des Südens auf Fragestellungen des Nordens und umgekehrt? Mögliche Themen wären dabei unter anderem: Konfliktbewältigung, Lokale Ökonomie, Bewältigung von Kindheit. Wie sieht das Lokale im Traditionellen aus und welche Bedeutung bezieht es in der Globalisierung? Welchen Stellenwert hat das Lokale in der Sozialarbeit überhaupt?
Band 3:
In vielen Ländern des Südens sind in den vergangenen Jahrzehnten Konzepte und Handlungsansätze in der Sozia-len Arbeit mit Kindern entstanden, die beispielhaft sind. Zu denken ist etwa an die von der Educación Popular (Popu-lar Education) oder Befreiungspädagogik inspirierten An-sätze von Straßensozialarbeit und Gemeinwesenarbeit (community-based work). Sie richten sich an Kinder, die in besonderem Maße sozial benachteiligt und diskriminiert sind, indem sie z.B. auf der Straße leben oder unter aus-beuterischen Bedingungen arbeiten müssen, und versu-chen, gemeinsam mit ihnen Lösungen für ihre Probleme zu finden. Sie betrachten die Kinder nicht nur unter dem As-pekt ihrer Gefährdungen, ohne diese gering zu schätzen, sondern nehmen diese als soziale Subjekte mit allen Facet-ten ihrer Persönlichkeit ernst und knüpfen an ihre spezifi-schen Fähigkeiten und Stärken an. Lösungen werden nicht darin gesehen, die Kinder vorab festgelegten Maßstäben und Maßnahmen zu unterwerfen, die auf ihre "Besserung" oder "Rettung" zielen, sondern flexibel auf ihre Erfahrungen einzugehen, ihr kritisches Bewusstsein über die Ursachen ihres Leidens zu fördern und zur Verbesserung ihrer Lebens-umstände beizutragen. Eine wichtige Rolle kommt hierbei der Anerkennung und Wiederbelebung solidarischer Be-ziehungen und gegenseitiger Hilfe zu, sei es im Rahmen des Gemeinwesens, sei es bei den Kindern selbst.
Trotz der mit extremen Notlagen verbundenen Nötigung, auf eigene Faust zu überleben, haben sich in den Ländern des Südens soziale Netze und Formen gegenseitiger Hilfe erhalten, auf die Sozialarbeit zurückgreifen und sie wieder beleben kann. Diese sozialen Netze und selbstorganisierten Hilfsformen erstrecken sich von der Großfamilie über nach-barschaftlichen Zusammenhalt bis zu Formen einer Sozialen und Solidarischen Ökonomie. Sie sind anders gestrickt als die Formen sozialer Sicherung, die sich in den industriali-sierten Ländern des Nordens vermittelt über den National-staat herausgebildet haben und die, wie wir heute sehen, nicht auf Dauer gestellt und der Weisheit letzter Schluss sind. Es wäre kurzsichtig, in den lokal verankerten und auf lokale Ressourcen vertrauenden Hilfsformen nur einen vo-rübergehenden Notbehelf zu sehen, der den Staat aus sei-ner Verantwortung entlässt. In Ländern, in denen Staaten eher ein Kropf sind, der sich auf Kosten der Menschen am Leben erhält und der Bereicherung einiger Weniger dient, kann das Vertrauen der Menschen in ihre eigene Kraft auch ein Element gesellschaftlicher Transformation hin zu neuen Formen von Zivilgesellschaft sein, von denen sich lernen lässt. Gewiss liegen darin Risiken, und die Möglich-keiten der Sozialarbeit, zu solchen Transformation beizutra-gen, sind begrenzt. Aber sie enthalten, wie sich in einigen Beiträgen dieses Bandes zeigt, hierfür ein Potential, das nicht unterschätzt werden sollte.
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