Die Frage nach Stationen und Motiven antiliberalen Denkens in Deutschland seit der Französischen Revolution ist ansprechend, ist doch in der deutschen Ideengeschichte der Liberalismus – der für die Herausgeber für „Freiheit, Selbstbestimmung, Selbstverantwortung und Partizipation“ (7) steht – stets schwächer als seine Gegner gewesen. Insgesamt werden in den Beiträgen am Beispiel mehr oder weniger ideengeschichtlich namhafter Autoren zentrale Motive des Antiliberalismus herausgearbeitet: die Identifikation des Liberalen mit dem Bürger oder Kapitalisten, der Vorwurf der Traditionsvergessenheit, der antimoderne Affekt, das antisemitische Ressentiment, die Absage an Pazifismus und Antimilitarismus oder die Parlamentarismusschelte. Die Ausführungen sind nicht nur für alle diejenigen von Interesse, die sich mit der Geschichte des Liberalismus und seiner Gegner beschäftigen, sondern auch für den, der ein grundsätzliches Interesse an der Ideengeschichte der Moderne hat. Hervorzuheben sind dabei die Texte, die hinter dem Antiliberalismus nicht nur Ablehnung, sondern ambivalente Positionierungen oder sachliche Probleme erkennen – in diese Richtung gehen insbesondere Jens Hacke, Ewald Grothe und Reinhard Mehring. Dass der Topos Antiliberalismus als analytischer Begriff schwierig zu handhaben ist, verdeutlichen insbesondere die beiden letzten Aufsätze: Der von Wolfgang Kraushaar ausgemachte Antiliberalismus der 1968er-Bewegung steht in einem beachtlichen Spannungsverhältnis nicht nur zu ihrem freiheitlichen Selbstverständnis, sondern auch zur liberalisierenden Wirkung auf die politische Kultur der Bundesrepublik – ein Befund, der insbesondere durch die Tendenzwenden der 1970er-Jahre nur umso plastischer hervortritt (Wolther von Kieseritzky). Leider mangelt es dem Band insgesamt an einer abschließenden Systematisierung: Es bleibt ungeklärt, wovon sich selbstzweifelnde Kritik am Liberalismus und Antiliberalismus unterscheiden. Zudem wird weder die Frage gestellt, ob Autoren, die man gemeinhin dem Liberalismus zurechnet, dem normativen Anspruch der Herausgeber selbst genügen, noch, ob bei bestimmten Antiliberalen nicht selbst ein liberales Moment existiert. Hier hätte sich die polemische Unterscheidung von Liberalismus und Antiliberalismus analytisch beweisen müssen. Der Sammelband geht auf die gleichnamige Konferenz zurück, die im März 2013 in der Theodor-Heuss-Akademie in Gummersbach stattfand.
Liberalismus als ideologisches und politisch-praktisches Feindbild.
Seit dem frühen 19. Jahrhundert zählt der Liberalismus zu den politischen Weltsichten, welche die Wirklichkeit nachhaltig veränderten. Dementsprechend viele Gegner hatte er, die ihn erbittert attackierten und sich gern als Sachwalter des Bestehenden präsentierten. So gewann der Liberalismus auch eine erstaunliche Intensität und Dauer als ideologisches Feindbild. Viele Modernisierungsverlierer des langen 19. Jahrhunderts betrachteten den an Wissenschaft und Fortschritt orientierten Liberalismus als übermächtigen Gegner. Im »Zeitalter der Extreme« (E. Hobsbawm) besaß der Liberalismus als Feindbild eine geradezu allgegenwärtige Präsenz. Diesem in der Forschung bisher wenig ausgeleuchteten Phänomen, dessen aktuelle politische Bedeutung überdies auf der Hand liegt, widmen sich die Beiträge des Bandes.
Mit Beiträgen von Andreas Fahrmeir, Jürgen Frölich, Ewald Grothe, Jens Hacke, Peter Hoeres, Andrea Hopp, Wolther von Kieseritzky, Hans-Christof Kraus, Wolfgang Kraushaar, Reinhard Mehring, Anne C. Nagel, Klaus Ries, Ulrich Sieg.
Suche nach Verfasser*in
Verfasser*innenangabe:
hrsg. von Ewald Grothe und Ulrich Sieg
Jahr:
2014
Verlag:
Göttingen, Wallstein-Verl.
Aufsätze:
Zu diesem Aufsatz wechseln
opens in new tab
Systematik:
Suche nach dieser Systematik
GP.PL
Suche nach diesem Interessenskreis
ISBN:
978-3-8353-1551-8
2. ISBN:
3-8353-1551-X
Beschreibung:
306 S.
Schlagwörter:
Antiliberalismus, Aufsatzsammlung, Feindbild, Geschichte, Liberalismus, Beiträge, Landesgeschichte, Ortsgeschichte, Regionalgeschichte, Sammelwerk, Zeitgeschichte
Mehr...
Mediengruppe:
Buch