Themenschwerpunkt: Gerhard Schneider: Es gibt nicht das Wahre im Unwahren, wohl aber das Richtige im Falschen. Über Fehler, Probleme, die sie machen, und Fehler-Leistungen in der Psychoanalyse – Ralf Zwiebel: Behandlungsfehler, Fehlerkultur und Verantwortung in der psychoanalytischen Praxis: Ansatz für eine psychoanalytische Irrtumstheorie – Johannes Picht: Zur ethischen Grundlegung der Abstinenz – Victor Sedlak:Betrachtungen über analytisches Scheitern – Sylvia Zwettler-Otte: Fehl-Leistungen als Phänomene in psychoanalytischen Institutionen – ›Das Unbehagen in der Kultur‹ wiedergelesen – Isolde Böhme / Claudia Frank: Supervision der Supervision – Überlegungen zu einem analytischen Instrument zur Wahrnehmung und Beeinflussung von Fehlentwicklungen in der analytischen Ausbildung – Wolfgang-Loch-Vorlesung: Martin Teising: Überlegungen zur Krankheitslehre der Psychoanalyse – heute.
Inhalt:
Themenschwerpunkt:
Gerhard Schneider: Es gibt nicht das Wahre im Unwahren, wohl aber das Richtige im Falschen. Über Fehler, Probleme, die sie machen, und Fehler-Leistungen in der Psychoanalyse
Die vorliegende Arbeit ist ein Beitrag zur Entwicklung einer psychoanalytischen Fehlerkultur. Einleitend werden verschiedene Kategorien von Behandlungsfehlern vorgestellt. Sodann geht es um die Behauptung, dass analytische Behandlungsfehler unvermeidbar sind. Entscheidend ist hier die Einsicht in die Unvermeidbarkeit von Gegenübertragungsverwicklungen. Anschließend werden produktive und unproduktive Fehler diskutiert. Im Hinblick auf die Bedeutsamkeit der den analytischen Prozess (wieder) anstoßenden produktiven Fehler kann man von Fehler-Leistungen und einer Via negativa (Hinshelwood) des analytischen Erkennens sprechen; andererseits sind der Kultivierung von Fehlern klare Grenzen gesetzt. Eine besondere Bedeutung haben Fehler in der Behandlung früh gestörter Patienten. Abschließend wird dargestellt, welche Gefährdungen eine Behandlung im Rahmen des analytischen Paradigmas für solche Patienten mit sich bringen kann. Auch der Analytiker geht das Risiko ein, existenziell mit Grenzen konfrontiert zu werden. Demzufolge ist vor einem Behandlungsangebot ein sorgfältiges Nachdenken über seine Ertragbarkeitstoleranz und die Erfüllung zusätzlicher Rahmenvoraussetzungen erforderlich.
Ralf Zwiebel: Behandlungsfehler, Fehlerkultur und Verantwortung in der psychoanalytischen Praxis: Ansatz für eine psychoanalytische Irrtumstheorie
Im Zusammenhang von "Täuschungen, Irrtümern und Fehlern" als inhärente Phänomene der psychoanalytischen Praxis werden zwei Bereiche unterschieden und genauer beschrieben. Der erste Bereich umfasst die Standards allgemeinen professionellen Handelns, die auch für den Psychoanalytiker gelten. In diesen Bereich fallen auch Behandlungsfehler, für die der Analytiker die alleinige Verantwortung trägt. Der zweite Bereich umfasst die spezifische Arbeitsweise des Analytikers, die der Dynamik von Gelingen und Scheitern unterliegt. In diesem zweiten Bereich geht es um die Entwicklung einer Fehlerkultur, deren Elemente genauer beschrieben werden. In diesem Bereich kann man von einer geteilten Verantwortung sprechen.
Johannes Picht: Zur ethischen Grundlegung der Abstinenz
Von dem ethischen Verbot der Ausbeutung von Abhängigkeit, das für alle Heilberufe gilt, lässt sich eine speziell psychoanalytische Abstinenz absetzen, die Übertragung und deren Durcharbeiten ermöglichen soll. Diese ist jedoch ebenfalls ethisch bestimmt: Ihre Ethik ergibt sich aus dem ›Sollen‹ der Psychoanalyse. Dessen Verwurzelung in der neuzeitlichen Subjektphilosophie Kants stehen Nietzsches Entlarvung der metaphysischen Grundbestimmung des Subjekts als verkappte Wertsetzung und ein über das Individuum hinaus reichender Begriff des Lebens gegenüber, mit dem sich Freud in Jenseits des Lustprinzips auseinandersetzt. Während das klassische Abstinenzgebot, auf das Lustprinzip bezogen, Individuation und binäre Logik durchsetzt, ist ›jenseits des Lustprinzips‹ eine Ethik zu skizzieren, die nicht mehr binär an Subjekt und Objekt, Gut und Böse, Wahr und Falsch, sondern an der Ermöglichung des Neuen orientiert ist. Als Abstinenz erschiene dann auch der Verzicht auf die Fiktion, dass Konzepte und technische Regeln Gewissheit und Konstanz gewährleisten.
Victor Sedlak: Betrachtungen über analytisches Scheitern
Die psychoanalytische Behandlung kennt viele Grenzen: Es ist nicht nur ein langsames und teures Verfahren, sondern erbringt auch nicht immer den Erfolg, den sich Analytiker oder Patient wünschen. Der Autor plädiert dafür, dass Psychoanalytiker dies als Tatsache ihres Berufes akzeptieren müssen - gelingt dies nicht, wird sich das klinisch auswirken, insofern der Patient spüren könnte, dass der Analytiker sich der Realität einer klinischen Zwangslage nicht stellen kann. Ein Fall aus der Supervision soll dies illustrieren. Im Anschluss wird die Behandlung einer Patientin vorgestellt, deren Problematik im Kern in einer Unfähigkeit besteht, sich der Realität, besonders in ihren enttäuschenden Seiten, zu stellen. Es wird die Auffassung vertreten, dass die Entstehung dieser Schwierigkeiten auf ein Versagen der frühen Objekte zurückgeht, sich ihren eigenen Enttäuschungen zu stellen. Die Arbeit beschreibt, wie der Analytiker versucht, mit der Enttäuschung und dem Bedauern zurechtzukommen, die im Verlauf der Analyse in ihm wachgerufen werden, ohne dass er für die Patientin verfolgend wird oder an seinem Beruf verzweifelt.
Sylvia Zwettler-Otte: Fehl-Leistungen als Phänomene in psychoanalytischen Institutionen - ›Das Unbehagen in der Kultur‹ wiedergelesen
Verdrängte Absichten werden nicht nur in den blitzartigen Entladungen von Fehlleistungen, sondern auch in schleichenden Prozessen wirksam, die hier als Fehl-Leistungen bezeichnet werden. Sie lösen vages Unbehagen sowie korrigierende Wunschphantasien von einer innigen Verbundenheit ("ozeanisches Gefühl ", "facilitating environment") aus und führen zu (unbewussten) Dilemmata zwischen dem Wunsch nach Zugehörigkeit zur Gemeinschaft und den individuellen Bedürfnissen nach Freiheit. Freuds Schrift Das Unbehagen in der Kultur wird als Basis für die Überlegungen verwendet, wie derartige Phänomene auf spezifische Weise auch in psychoanalytischen Institutionen auftreten. Beispiele solcher Fehl-Leistungen sind die Unterschätzung unbewusster Abhängigkeit des Individuums von der Institution als Teil der Persönlichkeit und der Identität aufgrund alter symbiotischer Bedürfnisse; die Verleugnung destruktiver Intentionen, die sich in der fehlenden Beachtung notwendiger individueller Erfordernisse äußern; die Organisation vieler und großer Zusammenkünfte, bei denen gleichzeitig das Fehlen aufmerksamen Zuhörens und echter Diskussionen beklagt wird; imponierende Expansionsbestrebungen ohne Abwägung der damit verbundenen Verluste und das Ignorieren der Bedeutung alter Bindungen (auch der fortbestehenden Übertragung) trotz des beruflichen Wissens um die Erhaltung des Vergangenen im Seelenleben.
Isolde Böhme / Claudia Frank: Supervision der Supervision - Überlegungen zu einem analytischen Instrument zur Wahrnehmung und Beeinflussung von Fehlentwicklungen in der analytischen Ausbildung
Die Supervision in der analytischen Ausbildung ist im vergangenen Jahrzehnt mit intensiven Bemühungen verbunden, sich unter Kollegen über die Qualität psychoanalytischer Arbeit von Kandidaten zu verständigen. Wesentlich für diesen Prozess sind die von Tuckett eingeführten drei Rahmen, die in Arbeitsgruppen u. a. bei der Supervisionstagung der DPV das gemeinsame Nachdenken strukturieren. Die Autorinnen vertreten, dass bei dieser Arbeit gleichzeitig eine Supervision der Supervision erfolgen kann und soll.
Wolfgang-Loch-Vorlesung:
Martin Teising: Überlegungen zur Krankheitslehre der Psychoanalyse - heute