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Zukunft 2022; 11

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Jahr: 2022
Zukunft 2022
Zählung: 11
Mediengruppe: Zeitschrift
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Inhalt

EDITORIAL ZUKUNFT 11/2022 SOUNDGESCHICHTE(N) VON ALESSANDRO BARBERI UND THOMAS BALLHAUSEN
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EDITORIAL: Dass auch der Sound Geschichte(n) hat, ist der Ausgangspunkt der aktuellen Ausgabe der ZUKUNFT, die sich auf mehreren Ebenen Phänomenen des Akustischen widmet, um schriftlich lesbar zu machen, was es so zu hören gibt: Von den Opern der Klassik führt so der Weg zum Geräusch im Alltag und den Beats des HipHop, um die Industrialisierung unserer Gehörgänge genauso zum Gegenstand der Diskussion zu machen wie das Wienerlied oder die Zukunftsvorstellungen von Punk. Die ZUKUNFT stellt sich damit ganz vorsätzlich in eine publizistische Tradition, in der Fragen von Sound über das Zusammendenken von Geschichte, Geschichtsschreibung und Historizität reflektiert und mit theoretischen Impulsen zusammengedacht werden – hier sei exemplarisch an Kodwo Eshun, David Toop oder auch Alex Ross erinnert, aber auch an die Popliteratur eines Thomas Meinecke oder eines Rainald Goetz. Diese notwendige diskursive Erweiterung, die Prinzipien traditioneller Mediengeschichtsschreibung befragt, hat zu veränderten Bedingungen des Reflektierens über Sound ebenso beigetragen wie zu einer Auf- bzw. Neubewertung akustischer Quellen historischer Forschung, einer Hinwendung zum Sound der Geschichte und seiner politischen Dimensionen. Denn nicht zuletzt in der discotheque nimmt das Widerständige, die resistance, einen Anfang.
Im Sinne all dieser Soundgeschichte(n) kümmert sich der einleitende und englischsprachige Beitrag von Lothar Tschapka um die Frage, wie das klassische Œuvre von Giuseppe Verdi erst in den 1920er- und 1930er-Jahren in unseren Breiten eine Renaissance erfuhr, die sehr eng mit dem österreichischen Schriftsteller Franz Werfel verbunden war. Denn zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren die meisten früheren Werke des Komponisten in Vergessenheit geraten und nur eine Handvoll seiner Opern, wie Rigoletto und Aida, wurden regelmäßig aufgeführt. Vor allem im deutschsprachigen Raum standen Verdis Opernwerke im Schatten von Wagners Musikdramen und wurden oft abschätzig als „Leierkastenmusik“ bezeichnet. Werfel, der seit seiner Jugend ein glühender Verehrer Verdis war, übersetzte u. a. drei weniger bekannte Opern des Komponisten und leitete damit die Verdi-Renaissance auf den deutschen und später auf den internationalen Bühnen ein. Tschapkas Beitrag befasst sich dabei u. a. mit der Übersetzung der Oper Simon Boccanegra, die 1930 in Wien uraufgeführt wurde, um eine in allen Wortbedeutungen „klassische“ Soundgeschichte zu erzählen.
Von der Klassik führt auch ein direkter Weg zur musikalischen Moderne, wenn Frank Jödicke kompositorische Maschinisten des Glücks thematisiert, indem er u. a. die Rolle und Funktion von Technologien wie dem „Regler“ im Gesamtwerk von Karlheinz Stockhausen analysiert, der zu den Pionieren einer an digitalen Medien orientierten Elektronischen und Neuen Musik zählt. Dabei steht deutlich vor Augen, dass der Maschinenliebhaber Stockhausen dem Geräusch eine ebenso wichtige Rolle zuordnete wie dem Ton, wodurch seine konzertanten Soundgeschichten im Raum der Klassik die Praktik des Samplens vorwegnehmen, wie sie uns allen mit dem HipHop in den Ohren liegt. Dabei ist das „Regeln des Reglers“ eine entscheidende Handlungsform der musikalischen Produktion und kann auch mit dem spielerischen Hantieren von Kindern in Zusammenhang gebracht werden. Deutlich wird dabei auch, dass Maschinen sich nicht von selbst regeln, sondern von musikalischen Spieler*innen „in aller Regel geregelt“ werden.
Deshalb ist auch der subjektiv gehaltene Bericht von Thomas Wilke hinsichtlich der Soundgeschichte(n) des HipHop von besonderer Schönheit. Denn der Autor geht im Sinne eines autobiografischen Selbstversuchs u. a. der Frage nach, inwiefern die Jugendkultur des HipHop prinzipiell mit Subversion verbunden ist, die einer Umkehr des Althergebrachten entspricht. Dabei geht es im Allgemeinen um den variablen und ambiguen Charakter von Jugendkulturen, die – denken wir auch an Rock ’n’ Roll, Techno oder Heavy Metal – zutiefst mit Soundgeschichte(n) verbunden sind. Der Beitrag untersucht deshalb anhand von HipHop einen Darstellungsmodus von Jugendkultur, der sich zwischen Mediensozialisation, Medienbiografie, Kulturwissenschaft, Ethnografie und ein wenig Sozialwissenschaft bewegt.
Auch der folgende Beitrag widmet sich einer geheimen Soundgeschichte der Popkultur, da Uwe Schütte der ZUKUNFT die Möglichkeit eingeräumt hat, einen längeren Auszug aus seinem Buch GODSTAR – Die fünf Tode des Genesis P-Orridge (2022) erneut abzudrucken. Dies ist deshalb von großer Relevanz, weil die Biografie des jüngst verstorbenen Genesis P-Orridge zutiefst mit der Soundgeschichte der Industrial Music verbunden ist, die den musikalischen Background für diesen nach dem Prinzip des Cut-Up verfertigten Essay darstellt, in dem Themengebiete wie ästhetischer Extremismus in Performance Art und Pop-Musik, Okkultismus und Metaphysik aufgegriffen werden. Die Hauptrollen in dieser Geheimgeschichte der Popkultur spielen dabei u. a. Throbbing Gristle, die Rolling Stones, Aleister Crowley, Coil, David Bowie und auch die Jugendkultur des Punk.
Deshalb ist es im Sinne der Soundgeschichte(n) auch bezeichnend, dass die Post-Punk-Pionierin Vivien Goldman im Herbst 2022 eine Song-Compilation und ein Buch unter dem Titel Revenge of the She-Punks herausbrachte, mit der sie tiefe Einblicke in den Punk, dessen Geschichte und das damit verbundene Female Empowerment bietet. Der Beitrag von Caroline Schmüser bespricht dabei diese (nicht nur) für die Punk-Geschichte wichtigen Publikationen, sondern verbindet eine kurze Geschichte des (feministischen) Punks mit Interviewpassagen, welche auf ein Gespräch mit Vivian Goldman zurückgehen, das die Autorin dieses Beitrags mit ihr geführt hat. Wer das Buch und die vier LPs der Compilation Revenge of the She-Punks durchgeht, wird den Spirit des Punk fühlen und dabei bemerken das Soundgeschichte(n) immer auch feministische „Herstory“ sind. Denn in jedem Track, jedem Songtext, jedem Sound, so Schmüser abschließend, steckt ein kleines Stück Revolution.
Aber auch das Wienerlied hat seine Klassiker, weshalb es uns besonders freut, dass Ronald Leopoldi, der Sohn von Hermann Leopoldi, unserer Redakteurin Hemma Marlene Prainsack ein Exklusivinterview gegeben hat, das auf allen Ebenen dem so wichtigen Werk seines Vaters gewidmet ist, das für die Wiener Soundgeschichte(n) von Gerhard Bronner oder Georg Kreisler von besonderer Bedeutung war. Dabei geht es u. a. um die Geschichte des Kabaretts Leopoldi-Wiesenthal und die tagesaktuellen Bezüge in den Liedern Leopoldis, die oft politische und gesellschaftliche Missstände zum Thema hatten. Auch die berührende Geschichte der Verfolgung Leopoldis und seiner Familie durch den Nationalsozialismus ist Gegenstand des Interviews, das dabei auch auf seinen grundlegenden Optimismus verweisen kann, der ihm im Konzentrationslager dabei half, zu überleben. Wir danken an dieser Stelle Ronald Leopoldi auch herzlich dafür, dass er uns die Bildstrecke dieser Ausgabe der ZUKUNFT zur Verfügung stellte, die aus unserer Sicht für sich spricht.
Insgesamt hofft die Redaktion der ZUKUNFT, Ihren Leser*innen mit diesen Soundgeschichte(n) eine breite Palette an akustischen Bezügen zu liefern, die es ermöglichen sollen, unser Gehör zu bilden. Somit: Auch die ZUKUNFT gehört gehört!
Alessandro Barberi und Thomas Ballhausen
Inhalt
*** Editorial VON ALESSANDRO BARBERI UND THOMAS BALLHAUSEN
*** Franz Werfel’s German Version of Verdi’s Simon Boccanegra. Political Aspects of an Opera Translation VON LOTHAR TSCHAPKA
*** Maschinisten des Glücks VON FRANK JÖDICKE
*** Soundcheck bei Soundgeschichten. Aktivierungen, Orientierungen und Limitierungen in der Begegnung mit HipHop VON THOMAS WILKE
*** GODSTAR – Eine Geheimgeschichte aus der Popkultur VON UWE SCH.TTE
*** Punk als Akt der Befreiung VON CAROLINE SCHMÜSER
*** „Es ist Zeit zum Händereichen!“ – Interview mit Ronald Leopoldi VON Ronald LEOPOLDI UND HEMMA MARLENE PRAINSACK
 

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Jahr: 2022
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Sprache: Deutsch
Mediengruppe: Zeitschrift