Lange stellte in der Welt der Kunst das Primat des Sehens bzw. des Visuellen eine unhinterfragte Grundannahme dar. Zwar wurde immer wieder Kritik am „Okularzentrismus“ oder, allgemeiner gefasst, an der Errichtung des westlichen Weltbildes auf der Basis unbewusst-optischer Koordinaten laut. Doch diese Hinterfragung der Priorität des Visuellen schien, vor allem was weitreichendere kulturelle Kontexte anging, nie wirklich konsequent vorangetrieben. Selten auch wurde die grundlegende Rezeptivität, die jedes Kunst- und Kulturverständnis unweigerlich ausmacht, auf eine andere sensuelle Basis als diejenige des Sehens zurückzuführen versucht. Grund genug, um nach den Bedingungen, wenn nicht der Notwendigkeit, einer Kunst des Hörens zu fragen. Oder besser: einer Kunst des "Zuhörens". Schließlich belegen viele kulturelle Konfliktherde der Gegenwart, dass schlichtweg nicht mehr zugehört wird. Gesellschaftliche und politische Auseinandersetzungen sind zu einem Musterbeispiel partikularistischer bzw. sektiererischer Rechthaberei geworden. Das sozial-medial vernetzte Subjekt ist aller vermeintlichen Weltoffenheit zum Trotz überwiegend im Widerhall der eigenen Stimme gefangen. Und die im kulturellen Geschehen allseits propagierte Diversität erfährt dort ihren Härtetest, wo es darum geht, dem/den Anderen tatsächlich Gehör zu schenken. Wollte man eine Gemeinschaft der/des Heterogenen begründen, müssten erst einmal die Stimmen und sonstigen Bekundungen des Fremden und Uneinheitlichen vernommen werden – ohne von vornherein schon zu wissen, was der/die Andere kann, will, muss oder soll. Zuhören, oder Zuhören-Lernen, als komplexe, gemeinschaftsbildende Praxis: Diesem Versuchsszenario möchte die erste Ausgabe 2023 nachgehen, von wahrnehmungstheoretisch-medialen Überlegungen über interpersonelle bzw. -subjektive Aspekte bis hin zur großen Frage, wo sich im großen globalen Stimmengewirr so etwas wie Verständnis (um nicht zu sagen Einverständnis) ausmachen lässt.
Netzteil
Vom Nichthumanen lernen
Yein Lees Skulpturen weisen in eine posthumane, feministische Zukunft
Christa Benzer
Half Duck, Half Sierra
Über die Gemeinschaftsarbeit Or So It Seems von Alan Butler und Simone C Niquille auf der 36. transmediale
Martin Conrads
„Gegen die Möglichkeit, der Realität einen Sinn zu geben“
Eine Begegnung mit der Autorin, Wissenschaftlerin und Künstlerin Asia Bazdyrieva
Sabine Weier
Tauchgang im fluiden Anderen
Auf der Suche nach „nicht-identischen“ Erfahrungsräumen
Christian Höller
Maritime Texturen
Der Ozean als Medium und Schwelle
Ellen Wagner
Zuhören
Wenn Brunnen sich blutrot färben
Fünf Kunstschaffende und Kulturarbeiter*innen aus dem Iran nehmen Stellung zur aktuellen Lage in ihrem Land. Vier von ihnen, die alle in Teheran leben, wollen anonym bleiben. Eine, Raha Faridi, lebt seit Kurzem in Berlin. Zusammengestellt und bearbeitet von Hannah Jacobi (Berlin).
Zusammengestellt und bearbeitet von Hannah Jacobi
tones for summoning UND red status alert
Eine Kollaboration von Natascha Sadr Haghighian und Shirin Mohammad
„Emanzipatorisches Hören ist nicht individuell, sondern kollektiv“
Über Vibrationspraktiken, Hörkulturen, Bäume und Affekte
Nina Sun Eidsheim
para-listening (2018–2023)
Ricarda Denzer
Die Politik der Schwingung
Musik als Portal zu „topologischen“ Erfahrungsräumen
Marcus Boon
Wer hat Angst vor Klang?
Zuhören als Überschreitung und Infragestellung von kultureller Visualität
Salomé Voegelin
Kunst des Zuhörens
Gespräch mit dem Biologen und Philosophen Cord Riechelmann
Pascal Jurt
Methoden der Unterwanderung von Kunst und Kultur in Putins Russland
Keti Chukhrov
Artscribe
Max L. Feldman
Rosemarie Trockel
Patricia Grzonka
Heinrich Dunst sink UND on affairs
Rahma Khazam
Anna Jermolaewa – Number Two
Milena Dimitrova
16. Lyon Biennale: Manifesto of Fragility
Hedwig Saxenhuber
Kudzanai Chiurai/Frida Orupabo/Eric Magassa - FLIGHT
Simona Dumitriu
Je Veux, Vienna 1975–2022
Christian Egger
Sanja Ivekovic. Works of Heart (1974–2022)
Ada Karlbauer
TOGETHER THE PARTS – ein künstlerisch-performatives Gathering
Krassimira Kruschkova
Lektüre
Stefanie Kitzberger/Cosima Rainer/Linda Schädler (Hg.):
Friedl Dicker-Brandeis – Werke aus der Sammlung der Universität für Angewandte Kunst Wien
Sabeth Buchmann
Denise Ferreira da Silva:
Unpayable Debt
Dietrich Heißenbüttel
Sianne Ngai:
Das Niedliche und der Gimmick
Peter Kunitzky
Carlos Reyes/Rodrigo Elgueta UND Sonja Eismann/Maya/Ingo Schöningh (Hg.):
Wir die Selk’nam UND Movements and Moments – Indigene Feminismen
Martin Reiterer