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Des Menschen Herz

Sozialstaatsroman
Leitner, Egon Christian
Egon Christian Leitner
Klagenfurt, Wieser
Bände

Inhalt

Rezension
Trilogie der tagtäglichen Traumata
In seinem voluminösen Opus "Des Menschen Herz" beschreibt Egon Christian Leitner die Katastrophen des Sozialstaats
 
Vor mir liegt ein dreibändiges Konvolut, das zwar den etwas allgemeinen Titel "Des Menschen Herz" trägt, indes mit einigem Recht als "Sozialstaatsroman" bezeichnet worden ist. Dabei ließe sich darüber streiten, inwieweit dieses bemerkenswerte Werk des Autors Egon Christian Leitner noch der herkömmlichen Kategorie des "Romans" entspräche.
Am ehesten entspricht noch der erste Band (circa 400 Seiten) einem zeitgenössischen Roman-Begriff: Der Stil ist zwar fragmentarisch, die Handlung dennoch fortlaufend. Bildungs- und Entwicklungsroman, die verschriftlichte Wut über die üblichen Traumata (die Nazizeit, die Verachtung gegenüber den Kindern, der Vater, die Schule ...) mischen sich mit einer Vielzahl kritischer Sozialdetails: Selbstmorde (von Erwachsenen, Jugendlichen, Kindern), sexueller Missbrauch, Psychosen, todbringende Krankheiten, Tierquälereien, Altenheime bis hin zum Bettelverbot. Dies alles im ländlichen und im städtischen Raum, "anonymisierte, frei erfundene Memoiren". Stellenweise liest sich dies wie eine Synthese aus Innerhofer und Genazino, gewürzt mit einem Spritzer Proust.
Demgegenüber stellt sich der zweite Band als eine Sammlung dessen dar, was Freud als "Novellen" bezeichnet hätte: In den durch die Figur des Ich-Erzählers zusammengehaltenen Fallgeschichten geht es um eine Dialysestation (und die Schuld eines Pflegers), einen Sozialarbeiter, der seine Organisation erpresst, einen Forscher und so weiter. Besonders bemerkenswert ist die Fallgeschichte des vietnamesischen Flüchtlings, der auf der Psychiatrie gelandet ist und dort im Langzeitbereich vergraben werden soll.
 
Der dritte, mit über 600 Seiten umfangreichste und auch exzentrischste Band dieses Triptychons, gestaltet sich als riesenhafte Aphorismensammlung, die nicht nur Splitter aus den beiden Vorbänden aufgreift, sondern auch Momente aus Kunst, Musik, Literatur, Geschichte und Gesellschaftswissenschaften.
Er erinnert, um dies unsystematisch aufzuzählen, an Lichtenberg, Kierkegaard, Adorno, Bierce, Kraus, Kluge. Eine Montage aus Fragmenten, deren Miniessays (um nur sehr wenige zu nennen) von Horaz bis Levinas reichen, von Pierpont Morgan bis zu Frau Kampusch, von Haneke bis zur Cannes-Rolle, von Aretino bis zum Dalai Lama. Aber auch die kleine weiße Katze der Tochter des Ich-Erzählers wird genannt (ebenso wie die Katzen von Rom).
Dabei hält der Autor die Waage zwischen seinen Erkenntnissen ("will wissen, warum ich keine Sachbücher schreibe. Ich auch!") und seinen subjektiven Wertungen (das und jenes "geht mir auf die Nerven" zählt zu Leitners Lieblingswendungen). Orientiert ist er vor allem an Pierre Bourdieu und Leopold Kohr, aber auch an den Diggers des 17. Jahrhunderts, an Pestalozzi, (zum Teil) an Keynes, an Goffman.
 
In jedem Falle zählt für ihn der Sozialstaat zum "Besten, was es bisher unter Menschen gab", und die "tagtäglichen Katastrophen in den Hilfssystemen des Sozialstaates" stehen im Zentrum seiner Trilogie. Gegen Ende äußert Leitner, es sei objektiv unmöglich, ihn zu verlegen. Sind wir froh, dass der Wieser Verlag den Autor - wenigstens für disziplinierte, geduldige und interessierte Leser - Lügen gestraft hat.
Rolf Schwendter - Falter
 

Details

Verfasser*in: Suche nach Verfasser*in Leitner, Egon Christian
Verfasser*innenangabe: Egon Christian Leitner
Verlag: Klagenfurt, Wieser
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Systematik: Suche nach dieser Systematik DD.G
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ISBN: 978-3-99029-002-6
2. ISBN: 3-99029-002-9
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