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Der Pazjent als Psychiater

Oskar Panizzas Weg vom Irrenarzt zum Insassen
Verfasser*in: Suche nach Verfasser*in Müller, Jürgen
Verfasser*innenangabe: Jürgen Müller
Jahr: 1999
Verlag: Bonn, Ed. Das Narrenschiff
Mediengruppe: Buch
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Inhalt

Leopold Hermann Oskar Panizza (* 12. November 1853 in Kissingen; † 28. September 1921 in Bayreuth) war ein deutscher Schriftsteller, Satiriker und Publizist. In seinen Schriften attackierte Panizza den wilhelminischen Obrigkeitsstaat, die katholische Kirche, sexuelle Tabus und bürgerliche Moralvorstellungen. Als literarischer Individualist nimmt er eine Sonderrolle in der deutschen Literaturgeschichte ein: Der Einzelgänger der Münchner Moderne lässt sich nur grob zwischen Naturalismus und Expressionismus einordnen. Panizzas Schreibstil war spontan, flüchtig und unkonventionell – dem späteren Expressionismus ähnlich; dabei benutzte er ab 1893 eine phonetische Orthographie. Er verwendete zwar häufig die Formensprache des Naturalismus, doch ist der größte Teil seiner Erzählungen und seiner Gedichte auf das Innenleben des Erzählers ausgerichtet, das sich häufig stark von der realen Außenwelt unterscheidet. Seine Themen waren häufig autobiografisch geprägt und dienten ausdrücklich auch der Selbsttherapie des psychisch labilen Autors. Panizzas Hauptwerk ist das 1894 erschienene satirische Drama Das Liebeskonzil – eine in der Literaturgeschichte beispiellose antikatholische Groteske. Bedeutend sind daneben Panizzas bizarre Erzählungen, in denen er Realistik und Phantastik verband. Als äußerst polemischer Publizist setzte Panizza vor allem satirische Mittel ein und gab von 1897 bis 1900 die Zeitschrift Zürcher Diskußjonen heraus, in der er individualanarchistische und atheistische Überzeugungen vertrat. Panizzas lyrisches Schaffen wird in erster Linie als bemerkenswertes Zeugnis seiner zunehmenden Geistesgestörtheit rezipiert. Waren die ersten Veröffentlichungen noch deutliche Nachahmungen romantischer Lyrik, so sind die expressiven Gedichte der 1899 erschienenen Parisjana inhaltliche wie stilistische Provokationen, die selbst von ehemals befreundeten Zeitgenossen als „Material für den Irrenarzt“ gewertet wurden. Das von spektakulären Literaturskandalen begleitete Werk Oskar Panizzas ist kaum von seiner bewegten Lebensgeschichte zu trennen: Nach einer streng pietistischen Erziehung und einer von Leistungsverweigerung geprägten Schulzeit wurde er Nervenarzt, wandte sich aber bald der Literatur zu. Seine blasphemischen Provokationen brachten ihn nach einem aufsehenerregenden Prozess 1895 ein Jahr lang wegen Gotteslästerung ins Gefängnis. Er gab die deutsche Staatsangehörigkeit auf und ging ins Exil nach Zürich und, nachdem er dort ausgewiesen wurde, nach Paris. Nach Erscheinen seines Gedichtbandes Parisjana 1899 – seines letzten gedruckten Werks – lief eine internationale steckbriefliche Fahndung wegen Majestätsbeleidigung nach ihm, und sein gesamtes in Deutschland verbliebenes Vermögen wurde eingezogen. Deshalb nach Deutschland zurückgekehrt, endete der ehemalige Irrenarzt Panizza, der sich während seines Studiums mit Syphilis infiziert hatte, selbst als paranoider, von Wahnvorstellungen und Halluzinationen beherrschter Geisteskranker in der Nervenklinik. Nach 16 Jahren in der Heilanstalt starb er 1921 im Bewusstsein, als Dichter gescheitert zu sein: „Ich hab umsunst gelebt“. Kein anderer Autor des wilhelminischen Deutschland – vielleicht Frank Wedekind ausgenommen – war so sehr von der Zensur betroffen, keiner wurde für seine literarischen Werke ähnlich hart durch die Justiz bestraft. Fast alle seine Bücher wurden schon kurz nach ihrer Veröffentlichung verboten und konfisziert, an eine Aufführung seiner Theaterstücke war jahrzehntelang nicht zu denken und seine Familie weigerte sich nach seinem Tod, die Urheberrechte freizugeben. So konnte eine Rezeption seiner Werke erst in den späten 1960er Jahren einsetzen, in größerem Umfang geschah dies erst in den 1980er Jahren. --- Vom Irrenarzt, Schriftsteller und Häftling zum Antipsychiater, Verleger und entmündigten Geisteskranken - kenntnisreich und mit vielen Detailinformationen zeichnet diese wissenschaftliche Biografie Oskar Panizzas Lebensweg nach: Noch während seiner Assistenzarztzeit unter Gudden, dem Leibarzt des Bayernkönigs Ludwigs II., nahm Panizza erste Symptome einer Geisteskrankheit bei sich wahr.
Um diese zu bewältigen, wandte er sich dem Schreiben zu. Die meisten seiner Werke wurden beschlagnahmt, aber durch die Diagnose "Paranoia" schloss man die Verantwortlichkeit an seinen Schriften und Handlungen aus. Die Geisteskrankheit verschlimmerte sich. Panizza hatte Täuschungen des Gehörs- und des Geruchssinns, fühlte sich vom Deutschen Kaiser verfolgt und beeinträchtigt. Er selbst beschreibt seine Krankheitszeichen ausführlich in Tagebucheinträgen und verfasste eine nahezu lückenlose Patientenautobiografie aus der Sicht des ehemaligen Psychiaters. In verschiedenen Veröffentlichungen kritisierte er die zeitgenössische Psychiatrie und kämpfte gegen Stigmatisierung und gegen eine naturwissenschaftliche Betrachtung der Geisteskrankheit. Die Panizza-Biografie wendet sich nicht nur an den psychiatrisch Interessierten. Jeder, der hinter der Diagnose den Lebensweg des Betroffenen sucht, findet in Oskar Panizza einen Wegbereiter für eine Psychiatrie, die den Patienten in den Mittelpunkt stellt.

Details

Verfasser*in: Suche nach Verfasser*in Müller, Jürgen
Verfasser*innenangabe: Jürgen Müller
Jahr: 1999
Verlag: Bonn, Ed. Das Narrenschiff
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Systematik: Suche nach dieser Systematik NK.HMG
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ISBN: 3-88414-291-7
Beschreibung: 1. Aufl., 240 S. : Ill.
Schlagwörter: Biographie, Panizza, Oskar, Berühmte Persönlichkeit / Biographie, Biografie, Biographien, Biographisches Nachschlagewerk, Lebensbeschreibung
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Fußnote: Literaturverz. S. 224 - 233
Mediengruppe: Buch