Bis heute muss der griechische Gott Dionysos herhalten, wenn von ihnen die Rede ist: Ekstasen sind wild, ihnen wohnt eine Energie inne, die fühlen kann, wer gerade entrückt ist, die aber nur allzu schwer in Worte zu fassen ist. Schamanen bewegen sich in Ekstase in unsichtbaren Welten, mittelalterliche Mystikerinnen vereinigten sich in ihr mit Gott, und der Rausch war und ist ein fester Bestandteil jeder Gesellschaft. Weil sie schwer kontrollierbar sind, sind Ekstasen bis heute verpönt - völlig verschwunden sind sie jedoch nie. Und kehren mit aller Macht zurück: Überraschenderweise begegnen wir ihnen heute nicht nur beim Rave oder bei schamanistischen Ritualen, sondern auch in Yogaklassen, Achtsamkeitsseminaren und Workshops, die die Leistungsfähigkeit im Job verbessern sollen. Und nicht zuletzt zeigt sich der neue Boom der Ekstatik in Krisenphänomenen wie einer martialischen Männlichkeit, in Massenbewegungen wie dem gewaltsamen Sturm aufs Kapitol in Washington oder den Protesten gegen die Coronamassnahmen. Woher aber kommt diese neue Lust an der Ekstase? Es ist höchste Zeit, mit historischer Tiefenschärfe, kritischer Neugier, einem analytischen Blick auf die Gegenwart und kulturellem Respekt in medizinischen Labors, bei Hexen-Ritualen, Ayahuasca-Zeremonien und in der Clubkultur diesem menschlichen Grundbedürfnis nach Selbstüberschreitung nachzuspüren - um so eine Ethik für die Ekstasen der Gegenwart zu finden.
Inhalt
Die Nacht wird
zum Tag gemacht - Die Rückkehr
der Ekstasen
Neugier auf drüben 13
Saubere Räusche 15
Engel und Räucherholz 17
Ekstasen als Universaltool 19
Der Gott der Ekstase -
Dionysos
Ein seltsamer Gott 25
Rasende Frauen in den Bergen 30
Lösende Ekstase 32
Technik, Gegenwart,
Vereinigung - Eine neue
Definition der Ekstase
Lauter Schwierigkeiten 41
Blutige Anthropologie 43
»Das Wagnis, an der Zeit zu rütteln« 46
Nach innen angesetzte Handlungsreihen 51
Das tote Ich 56
Der Weg aus dem Tabu 59
Denken in Netzwerken 64
Die Ekstase als primärer Zustand 70
Ausnüchterung -
Die Verdrängung der Ekstasen
aus der westlichen Kultur
Die alten Lieder... 75
Der Angriff der Zukunft auf die übrige Zeit 78
Der melancholische Blick nach vorn 84
Wohin verschwanden die Ekstasen? 87
Weniger Notwendigkeiten 89
Was blieb? 94
Tanzen - Von Rhythmus,
Handelsreisen und den Freuden
der Leere
Die ursprünglichste Ekstase 101
Augenrollende Gottheiten 107
Die Angst der Missionare 109
Tanzen bis zum Morgengrauen 113
Drehtanz, Sexmagie und Kokain 121
Beat, Bass, Ecstasy 124
Mit den Sternen, gegen den Uhrzeigersinn -
Neuer Sakraltanz 131
Beten - Von der Begegnung
mit höheren Mächten
und dem Graben zu Wurzeln
Erfahrungen am Rande 139
Leer ohne jeden Rest 140
Meditation und Mantra 143
Lehre für alle versus Geheimlehre 145
Verschmelzungen 147
In Flammen 154
Alte, neue und ganz alte Riten 156
Eine Heilsperson und ihre Vorgeschichte 160
Ein lauter Trend 164
Im Taufbecken - Immersion 167
Auf der Suche nach der großen Mutter 171
Weiblichkeit und Ekstase 176
Fundamente aus Quallen - (Neo-)Schamanistische
Spiritualität 180
Das Brausen des Heiligen Geistes - Pfingstkirchen 186
Biegen - Von Affektkontrolle,
dem Kult des Moments und der Suche
nach dem Wunder-Selbst
Zwei mächtige Gegnerinnen 195
Ein bisschen Seelenheil - Yoga im Westen 197
Sehnsuchtsland der Ekstatiker - Indien 203
Vipassana und die Wurzeln der Achtsamkeit 211
Verdünnte Ekstase und das Ich als Festung 218
Lean-Ecstasy in der Tech-Welt - Selbstqual
und Doom-Scrolling 226
Microdosing, Flow und die Kontrolle des Samens 232
Schlucken - Von der Liebe
zum Rausch, heilsamer Entäußerung
und neuen Geschäftsmodellen
High sein 243
Psychedelic Business - Das Versprechen der Transformation 245
Frei von Depression 252
Heilen ohne Rausch 262
Hierarchien der Ekstase 270
Auf Watte gebettet - Die stete Liebe zum Opiat 274
Befreiung der Massen
oder archaisches Gesetz -
Die Politik der Ekstasen
Scheut die Obrigkeit den Tanz? 287
Eine molekulare Revolution 288
Stahlgewitter reloaded und röhrende Alphamänner 292
Elitäre Ekstasen 297
Ein Ort für das Andere
Ein Kessel Buntes 303
Die Ekstase als existenzialer Zustand 308
Gern gesehene Ekstasen 309
Die alte Angst 312
Die Ethik der Ekstatik 314
Anmerkungen 323
Literatur 335
Sachregister 341
Personenregister 349
Das ist ein Klingen und Dröhnen,
Ein Pauken und ein Schalmei’n;
Dazwischen schluchzen und stöhnen
Die lieblichen Engelein.
Heinrich Heine / Robert Schumann (JDichterliebe}
Sometimes I want to leave my body.
Green Velvet