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Bologna-Bestiarium

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Verfasser*innenangabe: [hrsg. von Johanna-Charlotte Horst ... ]
Jahr: 2013
Verlag: Zürich [u.a.], Diaphanes
Mediengruppe: Buch
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Inhalt

»ECTS-Punkte«, »employability«, »Vorlesung« – diese und viele weitere Begriffe sind durch die Bologna-Reformen in Umlauf geraten oder neu bestimmt worden und haben dabei für Unruhe gesorgt. Die Universität ist dadurch nicht abgeschafft, aber dem Sprechen in ihr werden immer engere Grenzen gesetzt. Anfangs fremd und beunruhigend, fügen sich die Begrifflichkeiten inzwischen nicht nur in den alltäglichen Verwaltungsjargon, sondern auch in den universitären Diskurs überhaupt unproblematisch ein.Das Bologna-Bestiarium versteht sich als ein sprechpolitischer Einschnitt, durch den diese Begriffe in die Krise gebracht und damit in ihrer Radikalität sichtbar gemacht werden sollen. In der Auseinandersetzung mit den scheinbar gezähmten Wortbestien setzen Student_innen, Dozent_innen, Professor_innen und Künstler_innen deren Wildheit wieder frei. Die Definitionsmacht wird an die Sprecher_innen in der Universität zurückgegeben und Wissenschaft als widerständig begriffen.Von Arbeitsmarkt bis Vorlesung in Beiträgen von Simon Rohloff, Plínio Prado, Oleksii Viedrov, Johanna-Charlotte Horst, Erich Ribolits, Tillmann Severin, Kyrylo Tkachenko, Gianluca Solla/Chiara Zamboni, Johannes Lau, Wolfgang Ullrich, Clemens Pornschlegel, Jürgen Paul Schwindt, Ottmar Ette, Barbara Vinken, Robert Stockhammer, Tilman Reitz, Julian Müller, Andreas Gelhard, Andreas Chwatal, Stephan Packard, Johan Willner, Dirk Baecker, Rudolf Stichweh, Christian Hänggi, Daniel Hornuff, Till Breyer/Tillmann Severin, Thomas Schestag, Joseph Vogl, Thomas von Poschinger, Elias Kreuzmair, Cornelia Wild, Stefan Heidenreich, Barbara Hahn, Igor Samokhin, Judith Kasper/Cornelia Wild, Josef Knoll, Michael Ott, Vera Kaulbarsch, Wolfram Ette, Anselm Haverkamp und Maren Lehmann.
 
AUS DEM INHALT
 
Vorwort 9
A
Arbeitsmarkt - Simon Roloff 15
Austauschbarkeit - Ph'nio Prado 21
B
Begabtenförderung - Oleksii Viedrov 37
Bestiarium - Johanna-Charlotte Horst 43
Bildung, kritische - Erich Ribolits 47
Bologna-Glossar - Tillmann Severin 59
Bologna-Prozess - Kyrylo Tkachenko 67
D
Department - Gianluca Solla/Chiara Zamboni 75
E
Elite - Johannes Lau 83
Employability - Wolfgang Ullrich 87
Evaluation - Clemens Pornschlegel 95
Exzellenz - Jürgen Paul Schwindt 101
Exzellenz(en), velociferische - Ottmar Ette 105
C
Gender-Mainstreaming - Barbara Vinken 113
Globalisierung - Robert Stockhammer 115
I
Intellektuelle - Tilman Reitz 121
K
Klausur - Julian Müller 133
Kompetenz - Andreas Gelhard 137
Konzerte, Brandenburgische - Andreas Chwatal 145
Koordinator/in, gescheitert - Stephan Packard 147
Korporatisierung - Johan Willner 159
Korrektur - Dirk Baecker 165
L
Lebensführung, studentische - Rudolf Stichweh 177
Lebenslauf - Christian Hänggi 185
Lehrauftrag - Daniel Hornuff 191
Leistungspunkte/ECTS - Till Breyer/Tillmann Severin 197
Lektürekurs - Thomas Schestag 207
Lernen, lebenslanges - Joseph Vogl 227
Love - Thomas von Poschinger 231
M
Machen - Elias Kreuzmair 235
Modul - Cornelia Wild 243
N
Netz - Stefan Heidenreich 249
P
Peer review/Publikationsliste - Barbara Hahn 257
Q
Qualitätssicherung - freier zusammenschluss
v o n studentlnnenschaften 265
R
Rankings - Igor Samokhin 273
s
Sammelband - Judith Kasper/Cornelia Wild 281
Schalter - Josef Knoll 285
Schlüsselqualifikationen - Michael Ott " 287
Student im Sumpf - Andreas Chwatal 295
Ü
Überschneidungsfreiheit - Vera Kaulbarsch 299
Universität, unsichtbare - Wolfram Ette 303
V
Vorlesung1 - Anselm Haverkamp 307
Vorlesung2 - Maren Lehmann 311
Autorinnen und Autoren 335
 
TEXTBEISPIELE
 
Seit Bologna an den Universitäten herrscht machen sich dort allerlei seltsame Wortschöpfungen bemerkbar: Evaluation, Employability und Skills zum Beispiel. Was hinter den Begriffen steckt erörtert ein Sammelband, der dringend auf jede Literaturliste gehört.
Anna Chudozilov
Die Bologna-Reform hat sprachliche Bestien hervorgebracht, denen man ganz genau auf den Zahn fühlen sollte. Dieser Überzeugung sind die Herausgeber des Sammelbands "Bologna-Bestiarium". Denn hinter scheinbaren Worthülsen wie Skills, Employability und Evaluation stecken Konzepte und Gedanken, die viel über den Zustand unserer Hochschulen verraten. Die sechs Herausgeber müssen es besser wissen als all die Gelehrten mit schlohweissem Haar: bis vor kurzem waren sie nämlich allesamt noch Studierende.
Wir stellen hier 7 der 43 Worthülsenwesen, die im "Bologna-Bestiarium" sorgsam seziert werden, ganz kurz vor - und empfehlen den Sammelband wärmstens als Nachttischlektüre.
Evaluation
Um sinnvoll evaluieren zu können, muss man zuerst Ziele setzen, deren Erreichen dann überprüft wird. Doch was Universitäten grundsätzlich tun oder lassen sollen, ist überraschend oft unklar. Sollen mehr Diplom- und Titelträger produziert werden, oder gilt es die Spreu vom Weizen zu trennen? Sind zwanzig Nobelpreise in zehn Jahren genug? Und liegt der ideale Forschungsoutput einer Professorin eher bei zwanzig oder dreissig Artikeln pro Jahr?
Ziele werden teilweise zwar formuliert, sie sind aber nicht selten widersprüchlich: Universitäten sollen das lebenslange Lernen fördern und gleichzeitig die Ausbildungszeit verkürzen, sie sollen allgemeine Kompetenzen vermitteln und auf spezialisiertes Fachwissen fokussieren, sie sollen für Chancengleichheit sorgen sowie Elite und Exzellenz fördern. Doch im Grunde geht es gar nicht so sehr um Resultate. Evaluationen an sich sind eine Machtdemonstration des Hochschulmanagements. Eine Bestie also, deren heissen Atem Hochschulangehörige unentwegt im Nacken spüren.
Employability
Universitäten sollen aus jungen Menschen "anstellbare" Absolventinnen und Absolventen machen. Das ist ein erklärtes Ziel der Bologna-Reform, das oft auch kritisiert wird. Allerdings klagte bereits 1872 Friedrich Nietzsche über Zielkonflikte von Universitäten: Es werde eine "rasche Bildung" verlangt, "um schnell ein geldverdienendes Wesen werden zu können, und doch eine so gründliche Bildung, um ein sehr viel Geld verdienendes Wesen werden zu können". Tempo der Vermittlung und Tiefe des Wissens sind also nicht erst seit der Bologna-Deklaration umstritten. Theodor W. Adorno empfand es 1963 gar als viel zu zielorientiert, wenn Studierende nicht nur denken, sondern auch forschen sollten. Nietzsche und Adorno wehrten sich damals gegen Angriffe auf den von romantischen Vorstellungen geprägten Genie-Gelehrten.
Die Leitbilder der heutigen Universitäten sind jedoch von ganz anderen Bildern geprägt. Die Hochschulen sehen sich nun als wirtschaftliche Akteure. In den Universitätsräten sitzt sogar das gleiche Personal wie in Verwaltungsräten von Privatunternehmen. Ihr Produkt - also die Absolventinnen und Absolventen - wollen die Universitäten möglichst gut am Markt positionieren. Deshalb setzen sie auf hochspezialisierte Studiengänge; Produktdiversifizierung heisst das im Fachjargon. Finden die Produkte Anklang, hofft man auf eine gutes Image und Sponsorengelder. Dass man im Interesse der Employability dem Einzelnen das Vertrauen entzogen hat, das Studium nicht total am Arbeitsmarkt vorbei zu gestalten, zeugt aber von einer unseligen Mélange aus Ängsten, Kulturpessimismus und Ressentiments. Und macht die Bestie Employability zum Unerotischsten, was über die Menschen kommen konnte.
Prüfungsrelevanz
Keine Veranstaltung geht zu Ende, ohne dass jemand gefragt hätte, welcher Teil prüfungsrelevant sei. Diese Frage fusst in einer tief verwurzelten Form der Relevanz- und Aufmerksamkeitsökonomie, die studentisches Denken auszeichnet - nicht zuletzt, weil die Art des Prüfens nun einmal die Art des Lernens bestimmt. Das zu kritisieren hat nichts mit einer "Non-scholae-sed-vitae-Romantik" zu tun. Und grundsätzlich ist es durchaus nützlich, wenn man an der Universität lernt, das Notwendige zu erkennen.
Nur funktionieren akademische Diskurse nach anderen Prinzipien. Es ist eben typisch für wissenschaftliches Wissen, dass man es immerzu hinterfragen muss. Dass es nie als ganz sicher gelten kann. Und es gehört zum universitären Wissenserwerb dazu, dass man immer wieder am Rande der Überforderung entlangschlittert. Denn an dieser Grenze wird das Lernen richtig produktiv. Die Aufgabe der Dozierenden ist es, dafür zu sorgen, dass die Überforderung nicht in Frustration umschlägt. Nur weiss niemand so recht, wie man prüfen soll, ob solche Prozesse stattfinden. Und weil die Logik von Bologna nach Prüfungen schreit, ist die Frage nach der Prüfungsrelevanz ein hinterhältiges Biest, das Wissen aushöhlt und in Worthülsen verwandelt.
Gender-Mainstreaming
Universitätspolitik ist ohne die Kategorie "Gender" kaum noch denkbar. Es gibt spezielle Mentoringprogramme sowie Promotions- und Habilitationsstipendien, die sich an Frauen richten, und Bonusprogramme, die Berufungen von Frauen fördern sollen. Es gibt Fachstellen, die Broschüren veröffentlichen und Sensibilisierungskampagnen fahren, und Kommissionen, die sich mit nichts anderem als der Gleichstellung befassen. Das alles findet oft unter dem omnipräsenten Stichwort "Gender-Mainstreaming" statt. Und fördert in erster Linie die "political correctness" im Umgang mit Frauen.
Fragt man hingegen Professoren nach bedeutenden Intellektuellen, nennen sie fast ausnahmslos Männer. Und fragt man Professorinnen, sieht es auch nicht wirklich anders aus. Die Frauen sind im Kanon des Wissens noch nicht angekommen, auch wenn in vielen Fachgebieten inzwischen zahlreiche namhafte Wissenschafterinnen arbeiten. Während die Bestie "Gender-Mainstreaming" omnipräsent ist und gelegentlich gar für erhitzte Gemüter sorgt, ist sie doch weitgehend machtlos und ein ziemlich harmloses Viech.
Skills
Sozial- und Kommunikationskompetenz, Teamfähigkeit, Befähigung zu Leadership, Informations- und Reflexionskompetenz sowie Selbstmarketing: das sind nur einige wenige Skills, die Studierende an Universitäten heutzutage erwerben sollen. Das zumindest suggerieren Leitbilder und Studienordnungen. Im Diskurs rund um die Bologna-Reform nehmen Skills eine wichtige Rolle ein. Sind sie doch eine Art Bindeglied zwischen Hochschulen und dem Arbeitsmarkt. Obwohl Wissenschaft und Wirtschaft ganz unterschiedlichen Logiken folgen, kann man an der Universität Skills erwerben, die dann im Berufsleben nützlich sind.
Warum Universitäten, die doch primär Institutionen der Wissenschaft sind, plötzlich die gleichen Ziele verfolgen sollen wie Beratungsstellen für Arbeitslose, ist rätselhaft. Unklar ist auch, wer genau und wie all diese Kompetenzen vermitteln soll. Schliesslich werden von Dozierenden ganz andere Qualifikationen gefordert als bei einem Skill-Trainer. So entsteht der Eindruck, dass all die Skills in den Studienordnungen vor allem beweisen sollen, dass Universitäten total brauchbar sind. Während Bildung zwar positiv, aber irgendwie unbestimmt klingt, denkt man bei Zeitmanagement oder Informationskompetenz an etwas ausgesprochen Praktisches. Zudem klingt die Kompetenz- und Qualifikationsrhetorik zwar durchaus zukunftsgerichtet und optimistisch, erklärt aber auch unendliche Selbstoptimierung für überlebensnotwendig. Die Skills-Bestie hat also das Potential, uns gehörig zu stressen. Auch lange nachdem wir der Alma Mater den Rücken gekehrt haben.
Überschneidungsfreiheit
Die meisten Bologna-Bestien wurden geschaffen, um auf (vermeintliche) Probleme der Prä-Bologna-Welt zu reagieren. Bei der Überschneidungsfreiheit ist das anders. Zu fordern, dass Pflichtveranstaltungen in den Haupt- und Nebenfächern reibungslos aneinander vorbeigehen, ist neu. Voilà, eine reine Bologna-Bestie! Sie tummelt sich zwar nur ausserhalb von Monofächern, hält dort aber Studiengangsmanager und Studierende gleichermassen auf Trab.
Die Planung des Studiums besteht für Studierende heutzutage vor allem darin, einen komplizierten Veranstaltungsparcours zu absolvieren und dabei alle formalen Bedingungen einzuhalten. Studienordnungen regeln klar und zwingend, wann welche Module belegt werden müssen und was welchem Modul zuzuordnen ist. Der Inhalt der Veranstaltungen hingegen ist bei der Planung erst relevant, wenn alle anderen Kriterien berücksichtigt worden sind. Faktisch also fast nie. Überschneidungsfreiheit zu fordern bedeutet im Grunde also für Wahlfreiheit zu kämpfen. Leider ist das oft reichlich aussichtslos.
Begabtenförderung
Es ist eine reichlich seltsame Mischung aus Potential und Leistung, die eine Begabung definiert. Um als begabte Studentin zu gelten, muss man bereits ausserordentliche Leistungen gezeigt haben. Damit jemand bei einem Studenten Potential vermutet, muss er dieses schon zumindest teilweise nutzen. Ohne Rückgriff auf Leistung lässt sich Potential nicht messen. Ob man aus Potential heraus Leistungen entwickelt, hängt in erster Linie von sozialen Faktoren ab und nicht davon, was man von Mutter Natur auf den Lebensweg mitbekommen hat. Somit liegt die Vermutung nahe, dass Begabungsförderung der Erhaltung der aktuellen Gesellschaftsordnung dient.

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Verfasser*innenangabe: [hrsg. von Johanna-Charlotte Horst ... ]
Jahr: 2013
Verlag: Zürich [u.a.], Diaphanes
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Systematik: Suche nach dieser Systematik PN.UH
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ISBN: 978-3-03734-319-7
2. ISBN: 3-03734-319-2
Beschreibung: 1. Aufl., 342 S. : Ill.
Beteiligte Personen: Suche nach dieser Beteiligten Person Horst, Johanna-Charlotte
Sprache: Deutsch
Mediengruppe: Buch