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Die psychotischen Spiele in der Familie

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Verfasser*innenangabe: Mara Selvini Palazzoli ... Aus D. Ital. von Ruth Ensslin-Frey
Jahr: 1992
Verlag: Stuttgart, Klett-Cotta
Mediengruppe: Buch
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Inhalt

Hier liegt der Entwurf einer "Typologie" der verschiedenen Kommunikationsbeispiele in der Familie vor. Die Autoren bedienen sich zur Beschreibung der pathogenen familiären Interaktion der Metapher des Spiels. Damit gelingt es ihnen, Raum zu schaffen für unabhängige, unvorhersehbare Spielzüge des Individuums. Und gerade dies ist das Ziel der therapeutischen Interventionen: Sie sind eine Einladung an die Familie, die Karten auf den Tisch zu legen, um mit einem neuen Spiel zu beginnen. / AUS DEM INHALT: / / / Strategische Spiele Schon beim Lesen eines früheren Buches der Autoren - "Paradoxon und Gegenparadoxon " - vor vielen Jahren fühlte ich mich in die Welt von Kriminalgeschichten versetzt, bei denen der Therapeut die Rolle des Kommissars einnimmt und versucht, die Intrigen und Betrügereien der Familien aufzudecken und durch gezielte Interventionen zu beenden. "Die psychotischen Spiele in der Familie" könnte im Anschluss daran quasi als der zweite Band einer Fortsetzungsgeschichte aufgefasst werden, erzählt von den Strategen Mara Selvini Palazzoli, Stefano Cirillo, Matteo Selvini und Anna Maria Sorrentino. Bei meiner ersten Lektüre dieses Buches kurz nach dessen Erscheinen zog mich die Spannung in ihren Bann und regte Denkprozesse und Neugier an, die beschriebenen Interventionen selbst auszuprobieren. Und siehe da: Sie funktionierten manchmal auch bei meinen Patienten, aber diese reagierten meistens etwas verstört - was natürlich beabsichtigt war. Lediglich etwas schien zu fehlen: Das Mitgehen mit den Patienten - wie es z.B. Gunther Schmidt als "Pacing" in den Mittelpunkt seiner Therapie stellt. Zuerst zum Inhalt des Buches:Nachdem das Mailänder Team mit der früheren stereotypen paradoxen Vorgehensweise wegen immer wieder vorkommender Misserfolge unzufrieden war, experimentierten sie und entwickelten schließlich eine Verschreibung, die sie routinemäßig bei allen Familien mit einem mager- süchtigen oder psychotischen Kind anwandten und "unveränderliche Verschreibung " nannten. Bei der ersten Sitzung luden sie stets neben der Kernfamilie auch weitere Personen ein, die Einfluss auf die Familie ausübten, wie z.B. die Großeltern. Sie beendeten die erste Sitzung dann mit denWorten "Normalerweise sind wir am Ende der ersten Sitzung in der Lage zu sagen, ob wir zu einer Familientherapie raten oder nicht. In diesem Fall jedoch sind wir […] noch zu keinem definitiven Schluß gelangt. Daher ist ein weiteres Treffen notwendig […]; zur nächsten Sitzung erwarten wir nur die Familie" (S. 41). Damit zogen sie eine Grenze um die Kernfamilie. Nach der zweiten Sitzung erklärten sie eine Familientherapie für angezeigt und zogen eine weitere Grenze - jetzt zwischen den Generationen - indem sie zur dritten Sitzung die Eltern allein ohne die Kinder einluden.AmEnde der dritten Sitzung verordneten sie den Eltern Stillschweigen über alles, was in der Sitzung geschieht. "Etwa eine Woche nach dieser Sitzung beginnen Sie damit, abends einige Male auszugehen […]. Zu Hause hinterlassen Sie lediglich einen Zettel auf dem Küchentisch mit folgenden Worten: ›Wir sind heute abend nicht zu Hause.‹ […] Sollte Ihr Kind bzw. sollten Ihre Kinder fragen, wo um alles in derWelt Sie gewesen sind und was Sie in der Zeit gemacht haben, so antworten Sie in ruhigem Ton: ›Das sind Dinge, die nur uns beide etwas angehen.‹ " (S. 43 f.). Die damit zwischen den Generationen gezogene Grenze wurde in den folgenden Sitzungen noch verstärkt durch die Verschreibung von längeren Abwesenheiten in Form von Wochenendausflügen mit ein oder zwei Übernachtungen. Die Strategie ist klar: Die Autoren nahmen an, dass von einer Arbeit mit generationsübergreifenden Subsystemen die Gefahr ausginge, die "pathogenen hierarchischen Muster" zu festigen (S. 77). Deshalb sollten die Subsysteme hierarchisch zueinander in Beziehung gesetzt (S. 59) werden. Zur Strategie gehörte ein Pakt mit den Eltern, die am Ende der vierten Sitzung zu Kotherapeuten ernannt wurden (S. 85). Der designierte Patient wurde den anderen Mitgliedern der Familie gleichgestellt und die Solidarität unter den Geschwistern gefördert (S. 88 f.). Die der Strategie zugrunde liegende Imbroglio-Hypothese ("Imbroglio" könnte mit "betrügerische Verwicklung" übersetzt werden) geht von einem komplexen interaktiven Prozess aus, "der in Gang kommt, wenn ein Elternteil in seinem Verhalten eine spezifische Taktik erkennen läßt: wenn er in einer generationsübergreifenden dyadischen Beziehung den Anschein einer Bevorzugung erweckt, die inWahrheit nur Lug undTrug ist. Denn dieses besonders vertrauliche Verhältnis zwischen Mutter bzw. Vater und Kind ist nicht Ausdruck echter Zuneigung, sondern vielmehr ein strategischesWerkzeug, das gegen einen Dritten - gewöhnlich gegen den Partner - benutzt wird" (S. 106). Mit der Metapher des Spiels (S. 139) wird dann "Anstiftung" als interaktiver, zumindest triadischer, Prozess beschrieben: "Einer stiftet einen anderen gegen einen dritten an" (S. 145). Dieses "ganze Spiel mit all den Zügen, die die Spieler dabei abwechselnd machen, [wird] im wesentlichen auf der analogen Ebene ausgetragen […]. [Es ist] der bewussten Planung der Spieler wie auch ihrer ›rationalen‹ Kontrolle entzogen" (S. 156). "Unter Verführung verstehen wir also ein breitgefächertes Repertoire von Verhaltensweisen und Manövern, die dem Verführer dazu dienen, sich bei jemandem einzuschmeicheln, den er gegen einen Dritten aufwiegeln will" (S. 185). Die Autoren entwickeln schließlich ein diachrones Modell psychotischer Prozesse (S. 236 ff.). Ausgangspunkt ist ein Pattspiel der Eltern, die einen endgültigen Bruch sorgfältig vermeiden (S. 240). "Der folgenschwere epistemologische Irrtum, dem der zukünftige Indexpatient erliegt, beruht genau darauf, daß er auf der Grundlage einer linearen Attribuierung von Recht und Unrecht den passiven Provokateur für ein unschuldiges Opfer und den aktiven für einen grausamen Täter hält" (S. 241). Der zukünftige Indexpatient hält dann fest zu demjenigen Elternteil, der ihm alsVerlierer erscheint, ergreift aber niemals offen für ihn Partei (S. 244 f.). "Früher oder später muß das Kind der traurigen Tatsache ins Auge sehen, daß seine heimliche Parteinahme für den Verlierer überhaupt nichts fruchtet, da sich dieser dadurch in keiner Weise ermutigt fühlt, aktiv zu werden" (S. 245). "Der Gewinner wird seine Provokationen unbeirrt fortsetzen, während der Verlierer, anstatt sich dem Umsturzversuch der Tochter oder des Sohnes anzuschließen, an seiner unterwürfigen Rolle festhält. Letzterer wird auch nicht den Mund aufmachen, wenn der aktive Provokateur zum Gegenschlag ausholt, um sich an dem rebellierenden Kind zu rächen - im Gegenteil: Er wird sich in einer vollständigen Kehrtwendung mit dem Gewinner gegen das Kind verbünden" (S. 249). Schließlich "liefert diesem Kind allein die psychotische Symptomatologie eine Waffe, mit der es auch da triumphieren kann, wo es mit ungewöhnlichem, aber noch ›normalem‹ Verhalten gescheitert ist. Nun wird es wieder die Oberhand gewinnen" (S. 250). Das Verhalten des Indexpatienten schleift sich immer mehr ein und wird schließlich chronisch (S. 250). Die Familie sollte mit der Kompetenz der Therapeuten und der Fragetechnik geblendet werden (S. 65). So konnte es nicht ausbleiben, dass Patienten gegen diese strategische und im Grunde unaufrichtige Haltung der Therapeuten Misstrauen entwickelten und sich an der Nase herumgeführt vorkamen. Deshalb modifizierten die Autoren mit der Zeit ihre Therapietechniken zugunsten einer offeneren und empathischeren Beziehung (S. 312) und relativierten auch ihr eigenes, anfangs als unfehlbares Dogma betrachtetes Modell schließlich als "Denkschema, mit dessen Hilfe wir bei einem spezifischen Fall wiederkehrende Muster erkennen können" (S. 314). Die Offenlegung des Familienspiels wurde oberstes Ziel und die unveränderliche Verschreibung immer seltener eingesetzt (S. 316 ff.). Man schrieb allen Familienmitgliedern "individuelle Kompetenz" zu (S. 319 f.) und setzte voraus, dass sich jeder Einzelne von nachvollziehbaren Motiven und Absichten leiten lässt. Wenn ein Störungsmodell auf Annahmen von Verschwörung und Anstiftung beruht, muss es neben Opfern auch Schuldige geben - eine Sichtweise, die in manchen Fällen die Eltern zu Sündenböcken abstempelte undMachtkämpfe oder auch Verzweiflung auslöste. Um dieses Problem zu lösen, definierte man die Eltern als Kotherapeuten und machte damit "aus einem pathogenen Elternpaar ein therapeutisch wirkendes Paar […] - ein Paar, das zur Heilung seines Kindes beiträgt und dabei auch sich selbst heilt, weil es sein eigenes Beziehungsmuster verändern muß" (S. 337). Das familiäre Geschehen wurde als pathologisches Spiel beschrieben. "Wir werden also unsere Therapie als ein Spiel und uns selbst als Spieler darstellen" (S. 347). Die therapeutische Aufgabe ist nun die Veränderung des Spiels. "Entweder handelt es sich um einen Zug, mit dem das betreffende Spiel einfach nur weitergespielt wird, oder es ist ein Zug, mit dem ein neues Spiel vorgeschlagen wird - ein Meta-Spielzug. Es liegt auf der Hand, daß die entscheidenden Spielzüge des Therapeuten stets Meta-Spielzüge sind" (S. 347). Die Autoren wurden weltberühmt und ihr Ansatz fand weite Verbreitung. Aber die systemische Landschaft veränderte sich in den folgenden Jahren, beeinflusst durch den radikalen Konstruktivismus Ernst von Glasersfelds, durch die Kybernetik zweiter Ordnung Heinz von Foersters und durch die neuere Systemtheorie Niklas Luhmanns. Narrative Elemente wurden von Michael White und David Epston in die systemische Therapie eingeführt. Diese Theorien und Ansätze konnten Schwachstellen des Mailänder Modells ausgleichen. Nicht umsonst wurde früher den Systemikern immer wieder Zynismus und fehlende Empathie vorgeworfen. Dass die Therapeuten die Familie "blenden" und vorgeben zu wissen, was für sie der richtigeWeg ist, dass sie Schuldige für die psychische Störung des Familienmitglieds suchen, dass sie aus einer autoritären Haltung heraus und ohne tragfähige therapeutische Beziehung strategisch entwickelte Hausaufgaben verschreiben - das wurde schon während der Entstehungszeit des Buches von Mara Selvini Palazzoli und ihrem Team hinterfragt und führte zu ersten Schritten eines empathischeren Eingehens auf die Patienten. Während Selvini Palazzoli und ihre Kollegen davon ausgingen, die Wahrheit über die Entstehung psychotischer Störungen zu suchen und schließlich zu finden, wurde die prinzipielleMöglichkeit dieserWahrheitsfindung vonKonstruktivisten infrage gestellt: Man kann verschiedene Theorien und Methoden aus einer Metaperspektive lediglich danach beurteilen, ob sie hilfreich oder weniger hilfreich sind. ...

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Verfasser*innenangabe: Mara Selvini Palazzoli ... Aus D. Ital. von Ruth Ensslin-Frey
Jahr: 1992
Verlag: Stuttgart, Klett-Cotta
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Systematik: Suche nach dieser Systematik PI.HPS
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ISBN: 3-608-95677-8
Beschreibung: 402 S.
Schlagwörter: Familientherapie, Familie, Interaktion, Mailänder Modell, Systemische Therapie, Familien
Beteiligte Personen: Suche nach dieser Beteiligten Person Palazzoli, Mara Selvini
Originaltitel: I giochi psicotici nella famiglia <dt.>
Fußnote: Literaturverz. S. 389 - 395
Mediengruppe: Buch