Der im Juli 1923 unterzeichnete Vertrag von Lausanne besiegelt das Ende des Osmanischen Reichs und stiftet Frieden zwischen dessen Nachfolgern, der Regierung in Ankara und den Westmächten mit ihren nahöstlichen Mandaten. Noch immer gültig, legt er die Grenzen der Republik Türkei fest. Der Vertrag prägte autoritäre nachosmanische Systeme und beeinflusste global den Umgang mit ethnisch-religiösen Konflikten.
Dieses Buch erklärt, wie die achtmonatige, oft dramatische Konferenz mehr als zehn Jahre Krieg und Völkermord im späten Osmanischen Reich beendete. Die teilnehmenden Staaten gestanden der Delegation aus Ankara die Totalrevision des Vertrags von Paris-Sèvres und einen homogenen Staat in Kleinasien auf Kosten nichttürkischer Ansprüche zu. Den Völkermord an den Armeniern legten sie ad acta, das Reden darüber wurde tabuisiert. Der im Vertrag festgeschriebene Bevölkerungsaustausch erwies sich weltweit als Beispiel für «Konfliktlösung» durch erzwungene «Entmischung der Völker». Lausanne markierte somit nicht nur das Ende des Völkerbundprojekts einer selbstbestimmten sicheren Zukunft für kleine Völker im Nahen Osten, sondern gab auch faschistischen Strömungen in Europa entscheidenden Auftrieb. (Verlagstext)
Inhaltsverzeichnis:
Vorwort 7
Der historische Nahostfriede von Lausanne 13
«Ungerechter Friede ist besser als der gerechteste Krieg» 13
Macht hat recht 17
Ein hofiertes Diktaturmodell 23
Aufbau und Quellen des Buches 26
Teil I: Ein problematischer «Jahrhundertfriede» 31
1 Ein Friede auf dem Rücken der «Anderen» 32
2 Friede ohne Frieden: Unrecht stehen lassen abseits von Europa 37
3 Das Friedensarrangement Paris-Genf-Lausanne 46
4 Die Preisgabe Armeniens 51
5 Ein zu überdenkender Jahrhundertfrieden 55
Teil II: Gegen den Frieden von Paris-Genf: Bolschewiken, Türkisten, Islamisten 61
6 Was nach dem Krieg? Visionen eines Kriegsjahrzehnts 63
7 Die Gedankenwelt von Riza Nur, Mitbegründer der Ankaraer Regierung 66
8 «Wir Turaner»: Allgegenwärtige Ideologie und Argument in Lausanne 77
9 Ende des Reichs, CUP besiegt, aber den Kampf fortgeführt 82
10 Der Ordnung von Paris-Genf trotzen, den Weg nach Lausanne erzwingen 90
11 Nein zum Vertrag von Sevres, zum pluralen Anatolien und
zu fremder Justiz 105
12 Der militärische und diplomatische Weg zur Konferenz von Lausanne 115
13 Die osmanische Diaspora in Lausanne:
Vorbereitung nationaler Zukunft 123
Teil III: Langwierige Konferenz: Türkei und «Realpolitik» neu definiert 133
14 Der Vorabend, die Prämissen und die grossen Linien 134
15 Die historische Stunde des frühen Faschismus 140
16 Eröffnung, Persönlichkeiten, frühe Prägungen 151
17 Entscheidende erste Wochen 156
18 «Bevölkerungsaustausch» und Minderheiten 161
19 Armenische Katastrophe von Lausanne: verweigerte Heimat 171
20 Mehmed Cavid, Ankaras dissidenter Experte in Lausanne 182
21 Mosul 192
22 Diplomatiegerechte Geschichte, «Zivilisation» und «Rechtsstaatlichkeit» 197
23 Konferenzabbruch, ereignisreiche Pause und Fortsetzung 208
24 Nach einer langen letzten Meile: der Vertrag 215
25 Paradigmenwechsel: der türkisch-amerikanische Vertrag von Lausanne 227
Teil IV: Die Türkei nach Lausanne 237
26 Die Etablierung von «Friede» und Diktatur 239
27 Justizmord an Cavid 247
28 Revolution in einer bewunderten Diktatur 252
29 Unerfüllte Ansprüche, Selbstbilder und Aussenbeziehungen 260
30 Atatürks Geschichtsdoktrin 266
31 Völkermord in Dersim: Höhepunkt des Ultranationalismus 275
32 Lausanne-Mythos:
Verrat am türkischen Kalifat, Aufruf zur Wiederherstellung 280
Schluss: Zeit für demokratische Gesellschaftsverträge 289
Antidemokratie demontieren 290
Lausannes offene Tür für Faschismen schliessen 292
«Lausanne überwinden» 297
Aporetische Spirale oder dialektischer Fortschritt der Menschheit? 304
Biografische Notizen: Ankaras Team in Lausanne 307
Chronologie 314
Abkürzungen 328
Abbildungen und Karten 329
Bibliografie 331
Personenindex 339