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Bilder trotz allem

Verfasser*in: Suche nach Verfasser*in Didi-Huberman, Georges
Verfasser*innenangabe: Georges Didi-Huberman
Jahr: 2007
Verlag: Paderborn ; München, Fink
Reihe: Bild und Text
Mediengruppe: Buch
nicht verfügbar

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Vorbestellen Zweigstelle: 07., Urban-Loritz-Pl. 2a Standorte: GE.SV Didi / College 2d - Geschichte Status: Entliehen Frist: 09.08.2024 Vorbestellungen: 0

Inhalt

Im August 1944 gelang zwei Häftlingen des Konzentrationslagers Auschwitz eine Serie fotografischer Aufnahmen der Exekutionen. Während einer der beiden Häftlinge die Wachmänner der SS im Auge hielt, machte ein Mitgefangener vier Aufnahmen, die das Gelände um das Krematorium V zeigen.
Georges Didi-Huberman widmet sich in seinem neuen Buch der Paradoxie dieser Bilder: daß sie so gut wie nichts zu sehen geben, aber gleichwohl unersetzliche Überreste sind. Diese Fotografien sind, so der Titel des Bandes, „Bilder trotz allem“, „images malgré tout“.
„Berufen wir uns nicht auf das Unvorstellbare“ – mit dieser Aufforderung beginnt Didi-Huberman. Damit ist von Anfang an die Skepsis gegenüber der These formuliert, die in den Lagern begangenen Morde seien Fälle des Unvorstellbaren schlechthin. Neben vielen anderen hat der französische Psychoanalytiker Gérard Wajcman diese Auffassung wiederholt vertreten. Die Geschehnisse in den Lagern, so Wajcman, seien für immer bilderlos, ohne eine Spur des Vorstellbaren, eine „Zerstörung ohne Ruine“.
Didi-Huberman geht es keineswegs darum, diese These einfach umzukehren, in den fraglichen Aufnahmen also Zeugnisse zu sehen, die das Geschehen in den Lagern begreifbar machen würden. Zwei Weisen gebe es, diese Bilder nicht zu sehen: die eine mache aus ihnen Ikonen des Horrors, in denen man – auch um den Preis von Detailvergrößerung und Retusche – „alles“ erkennen wolle. Die andere versuche, die Bilder auf den Status von Dokumenten zu reduzieren und dabei alles Nicht-Informative aus dem Bildraum auszuschließen. Es ist das Wagnis dieses Buchs, jenen schmalen Grat zu beschreiten, der sich zwischen diesen Positionen auftut. (Verlagstext)
 
Inhaltsverzeichnis:
 
I.
Bilder trotz allem
Vier Stücke Film, der Hölle entrissen 15
Um zu wissen, muß man sich ein Bild machen. Auschwitz, A ugust
1944: vier Bilder trotz allem, trotz der Gefahren, trotz unserer
Unfähigkeit, sie heute angemessen zu betrachten. Die A rbeit des
Sonderkommandos. Überleben und dringendes Bedürfnis, sich zu
widersetzen: S ignale in die A ußenwelt zu schicken. Das fotografische
Bild erscheint dort, wo das zukünftige Verschwinden des Z eugen
und die Undarstellbarkeit des Bezeugten aufeinandertreffen:
dieser R ealität ein Bild entreißen. Planung heimlicher A ufnahmen.
Erste Sequenz: aus der Gaskammer des Krematoriums V heraus aufgenommen,
Bilder der Verbrennungsgräben. Zweite Sequenz: unter
freiem Himmel, in den Wäldern von Birkenau, Bild eines "Konvois"
entkleideter Frauen. Der zusammengerollte Film, in einer Zahnpastatube
versteckt, erreicht den polnischen Widerstand in Krakau,
um von dort "weitergesendet" zu werden.
Dem Unvorstellbaren zum Trotz 35
Die F otografien vom August 1944 richten sich an das Unvorstellbare
und dementieren es zugleich. Erste Ordnung des Unvorstellbaren:
die "Endlösung" als M aschine der allgemeinen "Entbildlichung".
Die Psyche der Opfer, ihre Sprache, ihr Wesen, ihre Überreste,
die Werkzeuge ihrer Vernichtung und selbst noch die A rchive,
das Gedächtnis dieser Vernichtung, werden zum Verschwinden
gebracht. Die "Vernunft in der Geschichte" und ihre prinzipielle
Infragestellung durch das Singuläre und die A usnahmen: Aus solchen
A usnahmen sind die A rchive der Shoah zusammengesetzt. Die
besondere F ähigkeit der F otografie, trotz allem eine Reproduktion
zu erzeugen und in Umlauf zu bringen: absolutes Fotografierverbot
in den L agern bei gleichzeitigem Betrieb zweier Fotolabore in
Auschwitz. Z weite O rdnung des Unvorstellbaren: Ist A uschwitz
undenkbar? E s geht darum, die Grundlagen unserer A nthropologie
zu überdenken (Hannah A rendt). Ist A uschwitz unsagbar? Es geht
darum, die Grundlagen der Z eugenschaft zu überdenken (Primo
Levi). Ist A uschwitz unvorstellbar? Dem Bild die gleiche A ufmerksamkeit
gewähren wie dem gesprochenen Wort. Die ästhetische Auffassung
des Unvorstellbaren verkennt die konkreten E inzelfälle der
Geschichte. Wie Robert Antelme, Maurice Blanchot und Georges
Bataille es vermieden haben, den Nächsten und das Menschengeschlecht
der Ästhetik des Unvorstellbaren auszuliefern.
Im Auge der Geschichte 53
Um sich zu erinnern, muß man sich ein Bild machen. Bild und
Zeugnis bei Filip Müller: Unmittelbarkeit der Monade und Komplexität
der Montage. Dringlichkeit der "fotografischen" Gegenwart
und E rzeugung von Bildern in den Rollen von Auschwitz. Das Bild
als A ugenblick der Wahrheit (Arendt) und "Monade", die dort zum
Vorschein kommt, wo das Denken scheitert (Benjamin). Zweifache
Ordnung des Bildes: Wahrheit (die vier Fotos im Auge des Zyklons)
und Verdunkelung (der Rauch, die Unschärfe, die Lückenhaftigkeit
des Dokuments). Die historische A uffassung des Unvorstellbaren verkennt
diese zweifache Ordnung des Bildes, verlangt von ihm zu viel
oder zu wenig und kennt nur vollkommene E xaktheit oder reines
Simulakrum. Die Fotografien vom August 1944 als "präsentierfähige
" Ikonen des Horrors (mittels Retusche) oder als bloß "informative
" Dokumente (durch Neurahmung) unter Mißachtung ihrer
Phänomenologie. E lemente dieser Phänomenologie: Die "schwarze
Masse" und die überbelichteten Partien, auf denen nichts zu sehen
ist, bilden visuelle Markierungen ihrer Entstehungsbedingungen und
der Geste ihrer Hervorbringung selbst. Die Bilder sagen nicht die
Wahrheit, aber sie sind F etzen der Wahrheit, ihre lückenhafte Spur.
"Es war unmöglich. Ja. Man muß sich ein Bild davon machen".
Ähnlichkeit, Unähnlichkeit, Überleben 6 7
Für eine visuelle Kritik der Bilder der Geschichte: sich ihrer Perspektive
annähern (formal), ihren S tandpunkt erschließen (anthropologisch).
Die Fotografien vom A ugust 1944 als Drama des
menschlichen Bildnisses überhaupt: F rage nach dem "Untrennbaren
" (Bataille) und dem Ähnlichen. Wenn der Henker das M enschliche
zur Unähnlichkeit verdammt ("Gliederpuppen", "Basaltsäulen"),
widersteht das Opfer, indem es trotz allem am Bild der Welt, seiner
selbst, der Träume und des Menschlichen überhaupt festhält
(Levi: "in gerader Haltung gehen"). S elbst die Bilder der Kunst
aufrechterhalten: Ungenauigkeit, aber Wahrheit des Danteschen
Bildes der Hölle (Lasciate ogni speranza…). Der Rückgriff auf das
Bild ist unvollständig und unerläßlich: Mangel an Information und
Sichtbarkeit, N otwendigkeit der Geste und des E rscheinens. Die
Fotografien vom A ugust 1944 als Objekte des Nachlebens: Der Zeuge
hat die Bilder, die er Auschwitz entrissen hat, nicht überlebt. Zeit
des Blitzes und Zeit der Erde, Augenblick und Sedimentation: Notwendigkeit
einer visuellen A rchäologie. Walter Benjamin über das
"wahre Bild der Vergangenheit".
II .
Trotzdem kein Bild des Ganzen
Das Bild als Fakt, das Bild als Fetisch 81
Die Kritik des Unvorstellbaren und ihre polemische Erwiderung.
Das Denken des Bildes als eine politische F rage. Die Fotografien
vom A ugust 1944, historisches und theoretisches Symptom. "Es
gibt keine Bilder der S hoah". Verabsolutierung der gesamten Realität,
um ihr das Bild des Ganzen gegenüberzustellen oder Historisierung
der R ealität, um deren lückenhafte Bilder zu analysieren?
Eine Kontroverse über das Verhältnis zwischen einzelnen Fakten
und universellen Schlußfolgerungen, zwischen bedenkenswerten
und vorgedachten Bildern. Die Erfahrung des Unvorstellbaren führt
nicht zum Dogma des Unvorstellbaren. Daß das Bild nicht alle(s) ist.
Die Bilder der Lager: schlecht (an-)gesehen, schlecht beschrieben.
"Es gibt zu viele Bilder der Shoah". Die Z urückweisung der Bilder
ersetzt nicht ihre Kritik. These vom Bild als F etisch, E rfahrung des
Bildes als Fakt. Der fotografische "Kontakt" zwischen Bild und Realität.
Der Fetisch: das Ganze, der S tillstand, die Verdeckung (écran).
Eine philosophische Debatte über die M acht des Bildes: S chleier
oder Riß? Die zweifache Ordnung des Bildes. Das Imaginäre ist
nicht auf das Bild als einen Spiegel zu reduzieren. Primat des Bildes
als S chleier, Primat des Bildes als Riß. Susan Sontag und die "negative
Epiphanie", Ka-Tzetnik und die fotografische "Verzückung",
Jorge Semprun und der ethische Aspekt des Blicks. "Plötzlich seiner
eigenen Abwesenheit beiwohnen".
Archiv-Bild oder Schein-Bild 133
Die historische "Lesbarkeit" der Bilder stellt sich nur im kritischen
M oment ein. Vom Bild als F etisch zum bildlichen Beweis
und zum A rchiv-Bild. Claude Lanzmann und die Ablehnung des
Archivs: "Bilder ohne E inbildungskraft". Der F ilmemacher und der
Dogmatiker. Die Verwechslung zwischen Falsifikation und Verifi-
kation des A rchivs. Die Hypothese vom "geheimen F ilm" und die
Polemik zwischen Lanzmann und Semprun. Übersteigerte Gewißheit
und das Ungedachte des Bildes. Das A rchiv neu denken: eine
Schneise durch die bereits erfaßte Geschichte schlagen, das E reignis
als F unken. Gegen den radikalen Skeptizismus in der Geschichte.
Den Beweis auf die Probe stellen und neu denken. Das Zeugnis
neu denken: weder als Widerstreit, noch als absolutes Schweigen
oder absolutes Sprechen. Trotz allem berichten, was sich unmöglich
vollständig berichten läßt. Das Zeugnis der Mitglieder des Sonderkommandos
hat die Zeugen überlebt. Die Rollen von Auschwitz,
die Vervielfachung der Z eugenschaft und die fotografische "Rolle"
vom A ugust 1944. Die E inbildungskraft neu denken und dabei die
einfache Gegenüberstellung von S chein und Wahrheit überwinden.
Was ist ein "Bild ohne E inbildungskraft"? Jean-Paul S artre oder das
Bild als Akt. Die Quasi-Beobachtung. Tür oder Fenster? Die "Randzone
des Bildes" und die R eihenfolge der beiden Bildsequenzen: die
Reihenfolge der A ufnahmen verkehren.
Das Bild als Montage, das Bild als Lüge 173
Vier Bilder, zwei Sequenzen, eine Montage. Einbildungskraft und
Erkenntnisgewinn der M ontage: Z ugang zu den singulären E lementen
der Z eit. Das Bild ist weder nichts, noch einzig, noch vollständig.
Claude Lanzmann und Jean-Luc Godard: zentripetale und zentrifugale
F orm der Montage. "Kein Bild" kann die S hoah aussprechen,
aber "alle Bilder" sprechen von nichts anderem. Von der Polarität
zur Polemik: die beiden Bedeutungen des A djektivs "mosaisch". E in
einziges Bild des Ganzen oder eine Vielfalt einzelner Bilder? Grundlegende
Konzepte: Gedächtnis und Gegenwart bei A lain Resnais,
Archiv und Z eugenschaft bei M arcel O phuls. "Was man nicht sehen
kann muß man zeigen". Der Bericht als M ontage bei L anzmann,
eine M ontage aus S ymptomen bei Godard. Was es bedeutet, die
Montage nicht als F alsifikation, sondern als Hervorbringung einer
"denkenden F orm" zu begreifen und eine "Dialektik" des Bildes zu
erzeugen. Der A rbeitsplatz des Cutters: das Kino zeigt Geschichte,
in dem es sie neu montiert. E ine Montage aus Dachau und Goya,
Elisabeth Taylor und Giotto. E ngel der Erlösung im Sinne des hl.
Paulus oder Engel der Geschichte im Sinne Walter Benjamins? E ine
unabschließbare Dialektik.
Das ähnliche Bild, das Bild als Schein 215
Zwei Perspektiven, die unter dem Blick einer dritten zusammentreffen.
E ine M ontage herzustellen, meint nicht, Dinge einander
anzugleichen, sondern Ähnlichkeiten aufblitzen zu lassen und jede
Gleichsetzung unmöglich zu machen. Ähnlich (semblable) zu sein,
meint weder scheinbar (semblant) zu sein noch identisch zu sein.
Doppelgänger und Gegensatzpaar: der Jude und der Diktator nach
Charlie Chaplin. Die überspitzten Theoreme des Undarstellbaren
und des Unvorstellbaren. "Um zu wissen, muß man sich ein Bild
machen". Das Bild im Z entrum der F rage nach der E thik. Hannah
Arendt und die E inbildungskraft als politische F ähigkeit. I nwieweit
kann ein Bild "die E hre" einer Geschichte "retten"? Erlösung meint
nicht Wiederauferstehung. Endlösung und Erlösung: von Kafka und
Rosenzweig bis S cholem und Benjamin. "Das wahre Bild der Vergangenheit
huscht vorbei. Nur als Bild, das auf Nimmerwiedersehen
im A ugenblick seiner E rkennbarkeit eben aufblitzt, ist die Vergangenheit
festzuhalten". Das Modell des Kinos: flüchtige und dennoch
fruchtbare Bilder. Die filmische Erlösung nach Siegried Kracauer.
Kritischer R ealismus: Das Bild demontiert und rekombiniert die
zeitlichen und räumlichen Kontinuitäten. Perseus im A ngesicht der
Medusa: die List des Schildes, der M ut, trotz allem zu erkennen
und die S tirn zu bieten. Das Bild im Z eitalter der zerrissenen Einbildungskraft:
die Krise der Kultur. Mit dem Bild des Vergangenen
die Gegenwart der Zeit erschließen.
Bibliographische Notiz 257
Abbildungsnachweis 259
 
 
 
 
 

Details

Verfasser*in: Suche nach Verfasser*in Didi-Huberman, Georges
Verfasser*innenangabe: Georges Didi-Huberman
Jahr: 2007
Verlag: Paderborn ; München, Fink
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Systematik: Suche nach dieser Systematik GE.SV
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ISBN: 978-3-7705-4020-4
2. ISBN: 3-7705-4020-4
Beschreibung: 260 Seiten : Illustrationen
Reihe: Bild und Text
Schlagwörter: Auschwitz, Konzentrationslager, Lager Birkenau, Photographie, Geschichte, Sonderkommando, Aufnahme <Fotografie>, Aufnahme <Fotographie>, Aufnahme <Photografie>, Aufnahme <Photographie>, Concentration Camp (eng), Fotoaufnahme, Fotografie, Fotografieren, Fotographie, Fotographieren, Fotokunst, Internierungslager <Konzentrationslager>, KZ, Photo, Photoaufnahme, Photografieren, Photographieren, Photokunst, Landesgeschichte, Ortsgeschichte, Regionalgeschichte, Zeitgeschichte
Beteiligte Personen: Suche nach dieser Beteiligten Person Geimer, Peter [Übers.]
Sprache: Deutsch
Originaltitel: Images malgré tout
Mediengruppe: Buch