Der Umgang mit Aggression und emotionaler Hochanspannung ist in der Pädagogik Alltag! In der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen sind pädagogische Fachkräfte und MitarbeiterInnen immer wieder mit der Herausforderung konfrontiert, soziale und emotionale Eskalationen zu deeskalieren, sowie mit Regelbrüchen und Grenzverletzungen umzugehen. Zwar können sich die Art und Weise sowie die Intensität und Häufigkeit dieser Vorkommnisse stark unterscheiden, dennoch sind sie Realität. Vor allem in der Arbeit mit besonders belasteten und belastenden Kindern und Jugendlichen gehören Grenzüberschreitungen, Konflikte und herausforderndes Verhalten mehr oder weniger zum Alltag. Auch emotionale und aggressive Eskalationen können, je nach Zielgruppe und Gruppendynamik, sporadisch oder regelmäßig vorkommen. Umso erstaunlicher und bedauerlicher ist es, dass es bisher nur wenig aktuelle Fachliteratur gibt, die der Komplexität dieses Themas gerecht wird. Dies mag auch daran liegen, dass „Deeskalation“ keine eigenständige wissenschaftliche Disziplin ist. So bedient sich die Deeskalation des Wissens aus Pädagogik, Psychologie, Traumaforschung, Konfliktforschung, Hirnforschung etc., um wirksame Handlungskonzepte zu gestalten und zu erklären.
So ist auch dieses Buch entstanden. Es verknüpft Theorien, Hypothesen, Wissen und Techniken diverser Wissenschafts- und Handlungsfelder auf eine verständliche und alltagstaugliche Weise.
Profis in Bildung und Erziehung sind in der Verantwortung, einen klaren, angemessenen und sicheren Rahmen zu setzen, um ihrer Klientel ein möglichst sicheres, anregendes und förderliches Umfeld zu schaffen sowie das Entstehen von Gefährdungen und Schädigungen zu verhindern bzw. einzugrenzen.
Eine professionelle Einstellung und Vorbereitung auf den Umgang mit „aggressiven“ und herausforderndem Verhalten sowie die systemische Verhinderung/Reduktion der Entstehung von solchen Verhaltensweisen sind ein elementarer Bestandteil eines ganzheitlichen und professionellen Deeskalationskonzeptes. Dazu gehört unter anderem auch die kritische und ehrliche Auseinandersetzung mit individuellen und institutionellen Wahrnehmungsmustern und Haltungen, denn diese bilden letztendlich das Fundament jeglicher Handlungen.
Da es zwischen und innerhalb der diversen erzieherischen Tätigkeitsbereichen (z.B. Jugendhilfe, Schule, offene Jugendarbeit, Psychiatrie etc.) z.T. erhebliche strukturelle Unterschiede gibt, wird in diesem Buch der Fokus auf den interaktiven Prozess vor, während und nach einer Eskalation gelegt. So entsteht eine Werk, das für alle pädagogisch tätigen Erwachsenen nutzbar ist, unabhängig davon, in welchem Tätigkeitsbereich sie sich engagieren.
Je sicherer und klarer sich die verantwortlichen PädagogInnen in emotional hochangespannten Situationen verhalten, desto effektiver und nachhaltiger können sie ihre Aufgabe erfüllen. Durch ein souveränes Auftreten der zuständigen PädagogInnen entsteht für Kinder und Jugendliche im Allgemeinen und für verunsicherte und evtl. emotionalisierte Kinder und Jugendliche im Speziellen ein Gefühl von Klarheit, Sicherheit, Orientierung und Verlässlichkeit. Sicherheit und Klarheit im Auftreten und Handeln ist dabei ein Ergebnis verschiedener, sich wechselseitig bedingender Faktoren. Unter anderem gehören dazu auch sichere, vielseitige und fundierte Handlungsstrategien, im Umgang mit herausforderndem und grenzverletzendem Verhalten.
Die LeserInnen werden beim Lesen gedanklich und emotional mit bereits erlebten Eskalations- Deeskalationserfahrungen in Kontakt kommen. Sie werden sich erinnern, wie sie gehandelt haben. Mit Hilfe des beschriebenen Wissens können sie Hypothesen aufstellen, warum ihr Handeln in der spezifischen Situation erfolgreich oder weniger erfolgreich war. Das Verstehen und Begründen der situativen Wirksamkeit oder Unwirksamkeit einer Handlungstechnik hilft dabei, sich in der deeskalierenden Praxis Techniken bewusster und gezielter auszuwählen. Dadurch entsteht ein höheres Maß an Handlungsfähigkeit und Souveränität.
Dieses Werk enthält umfangreiches Wissen, mit dessen Hilfe sich die LeserInnen noch gezielter und wirksamer auf Regelkonflikte und herausfordernde Situationen sowie gewalttätige/aggressive Eskalationen vorbereiten können. Sie können dieses Wissen zur spezifischen Fortbildung zum Thema oder zur Reflexion realer Konflikt- und Eskalationserlebnisse nutzen und dadurch ihre (Selbst-)Wahrnehmung, ihre Handlungsfähigkeit und Stressresistenz erweitern, wodurch sie zukünftigen Eskalationen mit und unter Kindern und Jugendlichen innerlich vorbereiteter entgegen sehen können.
Ganz ausdrücklich verzichtet wird auf die Beschreibung und Darstellung von körperlichen Schutz-, Kontroll- und „Fixierungstechniken“. Zwar können solche Techniken, je nach Kontext, notwendiger Bestandteil eines professionellen Deeskalationskonzeptes sein, aber solche Techniken lassen sich in dem Medium Buch nicht ausreichend erklären und darstellen, so dass die LeserInnen keinen brauchbaren Nutzen dadurch erfahren.
Dabei ist wichtig zu beachten, dass es keine universell wirksamen Deeskalationsstrategien und -techniken gibt. Nicht alles wirkt immer und überall gleich gut. Die in diesem Werk vorgestellten und z.T. empfohlenen Techniken und Prinzipien bieten eine Möglichkeit, das vorhandene Wissen und Handlungsrepertoire der LeserInnen zu ergänzen, so dass sie zukünftig vielseitiger und dadurch evtl. auch passender (re-)agieren können.
Inhalt
Vorwort 9
A Präventive Deeskalation 13
1. Präventive Deeskalation 15
2. Grundhaltung 16
2.1 Grundprinzipien im Umgang mit herausforderndem
Verhalten von KuJ 21
3. Begriffsdefinitione 23
4. Differenzierte Wahrnehmung von „Gewalt“ und „Aggression“ 27
5. Ursachen und Gründe für … 31
5.1 akutes („problematisches“) Verhalten 31
5.2 die Entstehung von „Aggression“ und „Gewalt“ 36
5.3 Frühkindliche Aggression 38
6. Die eigenen Anteile (er-)kennen 41
7. Vorbereitet sein 45
7.1 Interventionsberechtigung 48
B Deeskalation im Umgang mit instrumenteller Aggression 51
1. Situations- und Risikoeinschätzung 53
1.1 Frühwarnzeichen für eine aggressive Eskalation 56
1.2 Reihenfolge der Risikoeinschätzung 58
2. Umgang mit instrumenteller Aggression 62
3. Grundprinzipien der deeskalativen Grenzziehung 67
4. Eskalationsmuster 70
5. „Kontrolliert-deeskalative Konfrontation/Grenzsetzung“ 74
5.1 Kommunikativer Status 92
5.2 Anmerkungen zum „Stufenmodell“ 93
6. Aufschub und Verzögerung 96
6.1 Rückführung in das soziale Netz 97
7. Umgang mit Verstörungsstrategien 98
8. Autorität 99
9. Macht 102
10. Regeln und (individuelle) Grenzen 104
10.1 Individuelle Regeln und Grenzen 108
11. Präsenz und Aufsicht 109
12. Pädagogische Konsequenzen und Sanktionierung 110
C Deeskalation bei aggressiver Hochanspannung 113
1. Deeskalation einer emotional hochangespannten Person 115
2. Handlungsleitfaden 117
2.1 Eigensicherung 119
2.2 Unterbrechung und Kontaktaufbau 122
2.3 Emotionaler Zugang 124
2.4 Spannungsreduktion 126
2.4.1 Kontrolliert ausagieren (lassen) 135
2.4.2 Humor 136
2.4.3 Der Einfluss der Körpersprache 136
2.4.4 Verständnis für die Leit-/Primäremotion zeigen 138
2.5 Stabilisieren / Lösung finde 139
2.6 Ergänzende Anmerkungen 142
2.7 Umgang mit traumatisierten KuJ 143
3. Die Physiologie von Stress 145
3.1 Traumatischer Stress 147
4. Selbstregulation 149
D Sichernde und schützendeIntervention 155
1. Eskalierende Konflikte zwischen zwei oder mehreren KuJ 157
2. Intervention 161
2.1 Irritation 161
2.2 Körperliche Abwehr- und Begrenzungstechniken 161
2.2.1 § 32 StGB Notwehr / Nothilfe in der Arbeit mit KuJ 162
2.3 § 323c StgB Unterlassene Hilfeleistung; Behinderung
von hilfeleistenden Personen 164
E Nachsorge / Nachkrisenbetreuung 167
1. Nachkrisenbetreuung für KuJ 169
2. Nachsorge bei betroffenen PädagogInnen 172
2.1 Belastungsreaktionen 172
2.2 Kollegiale Erstversorgung 176
2.3 Nachbetreuung durch den Arbeitgeber 180
2.4 Selbstfürsorge 182
3. Dokumentation 184
3.1 Verbandbuch 185
4. Anzeige erstatten? 186
F Systemische Reflexion 187
Literatur 193